Übersicht er- und behalten

Lernen braucht Begleitung

Warum Expertinnen und Experten unersetzlich bleiben

Das digitale Zeitalter präsentiert aktuell ein schillerndes Paradoxon: Der Zugang zu Informationen ist universell und unmittelbar, doch die Kultivierung von tiefem, anwendbarem Wissen bleibt eine fundamentale Herausforderung. Damit verbunden ist, dass die schiere Menge an Daten das Verstehen zu ertränken droht, anstatt es zu fördern.

 

Das wirft für die Pädagogik eine zentrale Frage auf: Worin liegt der qualitative Unterschied zwischen dem selbstgesteuerten Lernen mit und durch digitale Werkzeuge und dem traditionellen, durch menschliche Experten geführten Bildungsweg, der in einer strukturierten Prüfung mündet?

 

Beschäftigt man sich damit, dann erkennt man, dass der entscheidende Unterschied nicht im Inhalt, sondern im Prozess des Lernens liegt. Während digitales Selbstlernen unbestritten ein mächtiges Instrument zur Informationsbeschaffung ist, bietet der expertengeführte und menschlich begleitete Bildungsweg einen überlegenen Prozess zur Konstruktion von beständigem und anwendbarem Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen. Es ist die menschliche Begegnung und Interaktion, die aus reinen Daten wertvolles Wissen und reifes Urteilsvermögen formen.

 

Das Spektrum des Lernens: eine notwendige Differenzierung

 

Um die beiden Lernpfade objektiv zu bewerten, ist eine Unterscheidung der Lernmodi unerlässlich. Die Bildungswissenschaft klassifiziert drei primäre Formen:

  1. Formales Lernen: Das ist der strukturierte Wissenserwerb in anerkannten Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten. Hier folgt das Lernen festen Lehrplänen und führt zu offiziell anerkannten Zertifikaten bzw. Abschlüssen. Der expertengeführte Weg mit Unterricht, Vorlesung, Seminar und Prüfung ist der Archetyp dieses Modells.

  2. Non-formales Lernen: Dieses Lernen findet außerhalb des formalen Systems statt, ist aber dennoch organisiert, wie etwa bei Seminaren, Workshops, Trainings oder Kursen in der Jugend- und Erwachsenenbildung. Dieses Lernen ist eher intentional, führt aber in der Regel nicht zu staatlich anerkannten Abschlüssen.

  3. Informelles Lernen: Als allgegenwärtigste Form des Lernens ist es ein natürlicher Begleiter des täglichen Lebens. Es ist unstrukturiert, häufig unbeabsichtigt und findet bei der Arbeit, in der Freizeit oder im Umgang mit Medien statt.

Die digitalen Autodidaktinnen und Autodidakten bewegen sich an der Schnittstelle von informellem und non-formalem Lernen. Sie nutzten strukturierte digitale Angebote (non-formal), agieren aber außerhalb institutioneller Rahmen (informell). Der bildungspolitische Vorstoß, non-formal und informell erworbene Kompetenzen anzuerkennen, ist ökonomisch sinnvoll, darf aber nicht zu einer pädagogischen Gleichsetzung der Lernprozesse führen. Die Validierung eines bereits vorhandenen Wissens ist eine reaktive Maßnahme.

 

Der formale, expertengeführte Bildungsweg hingegen ist ein proaktiver, qualitativ gestalteter Prozess, der auf eine optimale Wissens-, Fertigkeits- und Kompetenzkonstruktion abzielt und eine unersetzliche externe Qualitätsführung bietet.

 

Die Konstruktion von Wissen: Von der Information zur Weisheit

 

Ein Blick in die Lerntheorien, insbesondere der Konstruktivismus, zeigt, dass hier davon ausgegangen wird, dass Wissen nicht passiv empfangen, sondern von den Lernenden aktiv individuell konstruiert wird. Dabei sind zwei Ansätze entscheidend:

  • Individueller Konstruktivismus (nach Piaget): D. h., die Lernenden konstruieren ihre Wirklichkeit primär durch die eigene Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand. Dieses Modell beschreibt treffend die kognitive Leistung der isoliert lernenden Autodidaktinnen und Autodidakten.

  • Sozialer Konstruktivismus (nach Wygotski): Lernen wird als fundamentaler sozialer Prozess verstanden. In der „Zone der proximalen Entwicklung“, also dem Raum zwischen dem, was allein und dem, was mit Hilfe von „wissenderen Anderen“ erreicht werden kann, wird die Rolle der Expertinnen und Experten zentral. Sie sind nicht nur Wissensvermittelnde, sondern „Lernprozessbegleitende und -beratende“, die das notwendige Gerüst für den Aufbau höheren Verständnisses bereit- und sicherstellen.

Das Risiko des rein selbstgesteuerten Lernens liegt vor allem darin, ein intern logisches, aber unter Umständen fehlerhaftes respektive von der Fachwelt isoliertes Wissensgebäude zu errichten. Expertinnen und Experten fungieren hier als Repräsentantinnen und Repräsentanten der validierten Wissenskultur einer Disziplin und synchronisieren die subjektive Konstruktion der Lernenden mit der objektiven Realität des Fachgebiets.

 

Zur Bewertung der Qualität des Lernergebnisses dient die DIKW-Pyramide, (Die Urheberschaft der DIKW-Pyramide ist nicht eindeutig belegt, aber es werden häufig Michael K. Buckland, Richard L. Ackoff und Michael Zeleny genannt) die den Reifungsprozess von Daten über Informationen und Wissen bis hin zur Weisheit beschreibt.

  • Daten sind dabei rohe, kontextlose Fakten. Die unterste Ebene besteht aus unverarbeiteten Fakten, Zahlen und Beobachtungen ohne Kontext.

  • Informationen dagegen sind strukturierte und kontextualisierte Daten, welche die Fragen wie „Wer?“, „Was?“, „Wo?“ und „Wann?“ im Detail beantworten.

  • Wissen hingegen sind angewandte und verinnerlichte Informationen, die zur konkreten Problemlösung befähigen und auf die „Wie“-Frage Lösungen erzeugen. D. h., durch Erfahrung, Reflexion und Anwendung von Informationen entsteht Wissen, das die Frage nach dem „Wie?“ beantwortet und praktische Anwendungen ermöglicht.

  • Weisheit ist schlussendlich das ethische und prinzipiengeleitete Urteilsvermögen. Die Spitze der Pyramide bildet also Weisheit, die durch tiefes Verständnis, Evaluation und Synthese von Wissen entsteht und fundierte Entscheidungen ermöglicht, indem sie in die Lage versetzt, auch auf „Warum?“-Fragen eine Antwort zu finden.

Es ist nicht zu übersehen, dass der autodidaktische Weg stark auf den unteren Stufen, dem Sammeln von Daten und der Organisation von Informationen verortet ist. Ein möglicher Aufstieg zu anwendbarem Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen erfolgt in der Regel durch wiederholt ineffiziente Versuche und Irrtümer, wobei sich Fehler verfestigen, die fatale Auswirkungen auf das Lernergebnis haben. Die Stufe der Weisheit bleibt dabei in der Regel unerreicht. Der durch Expertinnen und Experten begleitete, geführte und angeleitete Weg ist hingegen immer schon darauf ausgelegt, die Lernenden sicher durch alle Stufen zu führen. Er liefert nicht nur kuratierte Informationen, sondern stellt durch angeleitete Praxis den Erwerb korrekten, prozeduralen Wissens sicher und fördert durch den Dialog den Aufstieg zur Weisheit.

 

Die unersetzlichen Rollen des menschlichen Experten

 

Der qualitative Mehrwert des Lernens mit Expertinnen und Experten manifestiert sich in vier zentralen Rollen, die digitale Werkzeuge nicht replizieren können. Sie transformieren den Prozess von der reinen Informationsaufnahme zur tiefgreifenden Wissenskonstruktion.

 

1. Expertin/Experte als Kuratierende und Übersetzende

 

In einer Welt des Informationsüberflusses ist die didaktische Reduktion eine wichtige Kernkompetenz der Lehrenden. Expertinnen und Experten filtern die immense Komplexität eines Fachgebiets, konzentrieren sich auf grundlegende Strukturen und schaffen einen kohärenten „roten Faden“. Sie übersetzen abstrakte Fachsprache und bauen eine Brücke vom Vorwissen der Lernenden zu neuen Inhalten. Diese kuratorische Leistung verwandelt eine unüberschaubare, chaotische Datenlandschaft in eine navigierbare Wissenskarte und ermöglicht den Aufbau eines stabilen, vernetzten Verständnisses.

 

2. Expertinnen und Experten als Mentorinnen und Mentoren

 

Ein Großteil menschlicher Expertise besteht aus implizitem Wissen, jenem intuitiven, erfahrungsbasierten Wissen, das sich kaum in Worte fassen noch befriedigend kodifizieren lässt („Wir wissen mehr, als wir zu sagen vermögen“, meinte dazu Michael Polanyi). Ein Lesetipp dazu: Michael Polanyi: Implizites Wissen). Dieses Wissen über Denkweisen, professionelle Zugänge, Verstehens Weisen, Haltungen und bewährte Heuristiken wird fast ausschließlich durch soziale Interaktion übertragen: durch Beobachtung, Nachahmung und vor allem über den direkten Austausch in einer (Achtung alte Sprache) „Meister/Meisterinnen-Schüler/Schülerinnen-Beziehung“. Expertinnen und Experten verkörpern dieses Wissen und machen es für die Lernenden erleb- und erfahrbar, ein Umstand und Prozess, den kein digitales Tutorial leisten kann.

 

3. Expertinnen und Experten als Dialogpartnerinnen und Dialogpartner

 

Lernen ist ein iterativer Prozess, der von der Qualität des Feedbacks und der Tiefe der Reflexion abhängt. Während eine Prüfung ein abschließendes (summatives) Urteil liefert, bieten Expertinnen und Experten im Prozess des Lernens kontinuierliches, formatives Feedback. Diese lernbegleitende Rückmeldung ist dialogisch und diagnostisch. Sie korrigiert nicht nur, sondern deckt Denkfehler auf und regt die Metakognition an, die Fertigkeit und Kompetenz, über das eigene Lernen nachzudenken. Die Lernenden lernen nicht nur den Stoff, sondern sie lernen, zu lernen. Dieses gezielte, adaptive Feedback stärkt zudem die Selbstwirksamkeit und die Lernmotivation.

 

4. Expertinnen und Experten als Katalysatoren für Gemeinschaft

 

Echtes Lernen ist immer auch eine soziale Aktivität. Der von Expertinnen und Experten geführte Lernprozess schafft eine Lerngemeinschaft, die eine starke motivationale Kraft entfaltet. In kooperativen Lernumgebungen entstehen eine positive, gegenseitig verstärkende Wechselwirkung und Abhängigkeit, die den Austausch und die gemeinsame Klärung und Verantwortung fördern. Der kognitive Akt, einem Lehrenden oder einer Seminarkollegin ein Konzept zu erklären, festigt das eigene Wissen tiefgreifend. Expertinnen und Experten nehmen hier eine entscheidende Rolle als Gestaltende dieser sozialen Dynamiken ein, die den isoliert lernenden Autodidaktinnen und Autodidakten fehlen und die für die Ausdauer bei komplexen Themen entscheidend sind.

 

Fazit: Die Qualität des Prozesses ist entscheidend

 

Der Vergleich zeigt, dass der selbstgesteuerte digitale Weg ein wertvoller Prozess der Informationsbeschaffung ist, der Autonomie fördert und für den Erwerb von Faktenwissen durchaus ausreicht. Der durch Expertinnen und Experten begleitete und geführte Weg ist jedoch ein qualitativ überlegener Prozess der Entwicklung und des Aufbaus von Wissens-, Fertigkeits- und Kompetenzkonstruktion, der auf die höheren Stufen des Verstehens abzielt. Der unersetzliche Wert liegt in den genuin menschlichen Begegnungen und Interventionen, der Kuration, der Mentorinnen- und Mentorenschaft und vor allem im unmittelbaren menschlichen Dialog, der den Lernprozess formt.

 

In einer Zeit, in der Informationen u. a. auch zur Ware geworden sind, liegt der wahre Wert von Bildung in der Gestaltung transformativer menschlicher Interaktionen. Expertinnen und Experten sind im Gegensatz zu Alchemistinnen und Alchemisten in der Lage, aus den Basiselementen der Daten und Informationen das Gold des Wissens und der reifen Urteilskraft zu destillieren.

 

Wenn Interesse und Bedarf bestehen, unterstützen wir dich gerne. Reden wir darüber! Unsere Angebote zu diesem Themenbereich:

HINWEIS: Bei der Finalisierung des Beitrags haben die Autoren und Autorinnen ChatGPT 5, Gemini 2.5 Pro und Microsoft Word mit Copilot verwendet, um die sprachliche Formulierung zu prüfen und zu verbessern. Die inhaltliche Verantwortung liegt bei den Autor: innen.


Ohren auf!