
Kreativität
Ohne undenkbar
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Der allgegenwärtige Fokus auf Nutzen und permanente Nützlichkeit sowie Effizienzsteigerung prägt das Leben, die Arbeit und die Bildung wie noch nie. Wer aber hinter die Kulissen der Psyche der Menschen schaut, weiß, dass kreative Prozesse sich oft erst in zweckfreien Momenten und durch im ersten Moment scheinbar sinn- und nutzlose Beschäftigungen entfalten. Erst aus dem Zusammenspiel von gezielter Arbeit und ungerichteter Muße entstehen die Bedingungen, die Neues entstehen lassen.
Die moderne Leistungsgesellschaft orientiert sich stark an Messbarkeit, Effizienz und unmittelbarem, greif- und messbarem Nutzen. Jede Idee, jeder Gedanke, jede Handlung und jede Investition werden primär auf ihren Zweck hin überprüft. In der Arbeitswelt, aber nicht nur dort, manifestiert sich diese Ausrichtung in optimierten Prozessen, engen Zeitplänen und Bewertungen anhand rationaler und klar definierter Kennzahlen. Im Bildungssystem spiegelt sich der Effizienzdruck in kompetenzorientierten Lehrplänen, standardisierten Tests und der Forderung nach einer immer schnelleren Verwertbarkeit des Gelernten auf dem Arbeitsmarkt wider. Aber das Denken in Kategorien der Nützlichkeit verengt den Raum für Abweichungen, Spiel und Experimente und das (wie schon erwähnt, scheinbar) Zweckfreie. Kreativität, als Prozess des Generierens neuer und origineller Ideen, findet in einem derart funktional ausgerichteten Rahmen wenig bis gar keinen Nähr- und Entwicklungsboden.
Kreativität entsteht eben nicht auf Befehl und folgt keinem linearen, geplanten und vorhersehbaren Pfad. Der kreative Akt benötigt Phasen der Inkubation, des gedanklichen Schweifens und der spielerischen Auseinandersetzung mit Themen, Inhalten und Genständen der Mit- und Umwelt. Genau hier kommt dem Nutzlosen eine fundamentale Bedeutung zu. Das (im ersten Moment scheinbar) Nutzlose darf in diesem Kontext nie als wertlos verstanden werden, sondern muss gesehen werden als frei von einem unmittelbaren, instrumentellen oder operationalen Zweck. Eine Beschäftigung, die um ihrer selbst willen ausgeführt wird, eröffnet kognitive Spiel- und Freiräume.
Die menschliche Psyche benötigt für kreative Leistungen einen Zustand der inneren Gelassenheit bei gleichzeitiger Offenheit. Schon Friedrich Schiller beschrieb den Spieltrieb und das Spielen als die Ursache und Bedingung für die wahrhafte Freiheit und Vollständigkeit des Menschen. Der Mensch ist, wenn er spielt. Er sah im Spieltrieb, die Synthese von Formtrieb (Vernunft) und Stofftrieb (Sinnlichkeit), die von ihm als Schlüssel zur menschlichen Freiheit und Harmonie angenommen wurde. Seine These: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.
Spielen und freies Experimentieren sind die prototypischen zweckfreien Handlungen. Im Spiel und im Experiment werden Realitäten simuliert, Elemente neu kombiniert und Regeln erprobt, ohne dass ein externes Ziel das Handeln und das Tun lenkt. Die Motivation liegt in der Beschäftigung und Tätigkeit selbst. Ein solcher Zustand regt das freie Denken an und fördert den Aufbau von Kompetenz zur freien Assoziation. In solchen Zuständen werden bestehende Gedanken und vorhandenes Wissen losgelöst von ihren angestammten Kontexten neu aufgerollt und verknüpft. Aus einer daraus resultierenden ungewöhnlichen und überraschenden Kombination schon bekannter Elemente entsteht eine neue Idee.
Der Zwang, ein bestimmtes, nützliches Ergebnis zu produzieren, blockiert eine solche assoziative Freiheit. Die Angst vor Fehlern und ineffizientem Vorgehen hemmt die Bereitschaft zum Spielen und Experimentieren. Zweckfreie Zeit, Muße oder das Verfolgen von Tätigkeiten ohne Leistungsanspruch schaffen die mentalen Bedingungen, unter denen das Gehirn in einen explorativen Modus schaltet. Ein derartiger Zustand ist für die Inkubationsphase kreativer Prozesse, in der das Gehirn unbewusst an der Lösung einer Problemstellung weiterarbeitet, unabdingbar.
Mittlerweile unterstützen neurowissenschaftliche Erkenntnisse diese Sichtweise. Das menschliche Gehirn operiert in unterschiedlichen Modi. Bei konzentrierter, zielgerichteter Arbeit ist das sogenannte "Task-Positive Network" (TPN) aktiv. Das unterdrückt Ablenkungen und fokussiert die kognitiven Ressourcen auf die anstehende Aufgabe. In Phasen der Ruhe, des Tagträumens oder der ungerichteten Gedanken tritt das "Default Mode Network" (DMN) in den Vordergrund. Das DMN ist stark an autobiografischen Erinnerungen, dem Nachdenken über die Zukunft und sozialen Kognitionen beteiligt. Genauso ist es maßgeblich für das Verknüpfen weit entfernter Wissensbereiche und das plötzliche Auftreten von Einsichten, den allen bekannten "Aha-Erlebnissen".
Eine Kultur der ständigen Beschäftigung und des permanenten Inputs hält das Gehirn vorwiegend im TPN. Dem DMN wird damit der Raum für seine integrative Arbeit und die Ausbildung von Kreativität entzogen. Das Resultat ist eine Abnahme von neuen, unkonventionellen und originellen Ideen sowie tiefgreifenden Einsichten. Pausen, Spaziergänge ohne bestimmtes Ziel oder einfach nur Momente des Nichtstuns sind also keine verlorene Zeit, sondern neurologisch notwendige Phasen zur Förderung kreativer Syntheseleistungen.
Für die Jugend- und Erwachsenenbildung ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen. Ein Bildungssystem, das ausschließlich auf die Vermittlung verwertbarer Fertigkeiten und Kompetenzen abzielt, greift, wenn es um Bildung geht, in jedem Fall zu kurz. Es trainiert die Anwendung von Bekanntem, aber nicht die Entwicklung von Neuem. Die Integration von zweckfreien Elementen in die Curricula ist daher eine Voraussetzung für den Aufbau und die Kultivierung kreativer Kompetenzen. Dazu gehören neben den klassischen Bildungsinhalten die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit den Geisteswissenschaften, mit Kunst, Musik oder Philosophie und Psychologie, auch wenn der unmittelbare ökonomische Nutzen nicht sofort ersichtlich ist.
Diese Disziplinen schulen das Denken in Zusammenhängen, die Ambiguitätstoleranz und die Kompetenz zur multiperspektivischen Betrachtung. Lernformate wie offene Projektarbeiten, bei denen der Lösungsweg nicht vorgegeben ist, oder explorative Laborphasen (in- wie outdoor) ohne strikte Versuchsanordnung gewähren den Lernenden den notwendigen Freiraum für kreative Lösungs(er-)findungen. Der Fokus verschiebt sich vom Erwerb vorstrukturierter Inhalte hin zur Entwicklung einer forschenden und gestaltenden Haltung. Bildung wird auf diese Weise einem Prozess, der nicht nur bspw. auf den Arbeitsmarkt vorbereitet, sondern die Persönlichkeitsentwicklung und die Kompetenz zur schöpferischen Teilhabe an der Gesellschaft fördert.
Dementsprechend ist auch in der Arbeitswelt ein Umdenken erforderlich. Innovationskompetenz ist eine zentrale Ressource für Unternehmen. Innovation entsteht jedoch selten in vorgegebenen Bildungsplänen, durchgetakteten Meetings oder durch die Abarbeitung von To-do-Listen. Führende Technologieunternehmen haben die Bedeutung von Freiräumen längst erkannt und institutionalisieren Phasen, in denen Mitarbeitende an eigenen, nicht direkt vorgegebenen Projekten arbeiten. Solche Initiativen schaffen eine Kultur, die das Spiel mit Ideen, Experimente und auch das Scheitern als Teil des kreativen Prozesses begreift.
Die Reduzierung reiner Prozessorientierungen zugunsten einer ergebnisoffenen Kultur der Zusammenarbeit stärkt das kreative Potenzial von Menschen, die miteinander arbeiten. Informeller Austausch, Pausengespräche und eine Umgebung, die zur Kontemplation anregt, sind keine Störfaktoren der Produktivität, sondern Katalysatoren für neue Ideen und Motivation. Die Anerkennung des scheinbar Nutzlosen ist somit keine romantische Verklärung, sondern eine strategische Notwendigkeit für nachhaltige Entwicklung und Problemlösungskompetenz. Die bewusste Entscheidung für unproduktive Zeit ist eine Investition in die Innovationskraft von morgen.
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