
Psyche und Hochseilgarten
Eine fachliche Gedankenskizze
Autorin und Autor: Renate Fanninger, Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Der erstmalige (und durchaus auch wiederholte) Besuch eines Hochseilgartens wird (meist in der Bewerbung solcher Anlagen) als spannendes Abenteuer oder als beste Gelegenheit zur persönlichen Weiterentwicklung beworben. Doch aus psychologischer Sicht verbirgt sich hinter dieser polierten Fassade eine komplexere Realität, in der neben den potenziellen Wachstums- und Entwicklungsförderungsfaktoren auch erhebliche psychische Belastungen und Risiken verborgen sind. Die neue und für die Besucherinnen und Besucher zunächst scheinbar übersichtlich kontrollierte und sichere Umgebung kann sich für bestimmte Personenkreise in der Aktivität plötzlich und unangekündigt in eine massiv unterschätzte Quelle von massivem Stress verwandeln.
- Ein Beispiel: Ein Teilnehmer, der als Kind von einem Klettergerüst gestürzt ist und sich dabei schwer verletzt hat. Dieser Sturz hat bei ihm eine tiefe Angst vor ungesichertem Fallen und dem Kontrollverlust in der Höhe hinterlassen, auch wenn er sich an die genauen Umstände des Unfalls kaum noch erinnert. Rational weiß die Person, dass sie im Hochseilgarten gesichert ist und die Ausrüstung hält. Er hat die Sicherheitseinweisung aufmerksam verfolgt und Vertrauen in das System gefasst, zumindest auf bewusster Ebene. Während des Parcours erreicht diese Person eine Station, die aus mehreren sich bewegenden Rundhölzern besteht, die sie überqueren muss. Jeder Schritt erfordert Balance und das Loslassen des sicheren Griffs am vorherigen Element. Plötzlich, als ein Rundholz unter ihrem Fuß leicht wegrutscht, wird die Person von einem unerwartet starken Gefühl der Hilflosigkeit und des freien Falls übermannt. Die anfangs als kontrolliert und sicher wahrgenommene Umgebung verwandelt sich schlagartig in eine bedrohliche Zone. Die physikalische Reaktion seines Körpers: schneller Herzschlag, Schwindel, kalter Schweiß. Das sind nicht nur Reaktionen auf die Höhe, sondern auch auf die unbewusste Wiederbelebung der Erfahrung aus der Kindheit.
Die scheinbar geringfügige Instabilität des Rundholzes hat ausgereicht, um die unterdrückten Erinnerungen und die damit verbundene Panik zu triggern. Obwohl die Person sicher im Gurt hängt, erlebt sie das Gefühl des Sturzes und der fehlenden Kontrolle so intensiv, als würde sie tatsächlich erneut fallen. Was für andere eine aufregende Herausforderung ist, wird für diese Person zu einer massiv unterschätzten Quelle von Angst und Panik, weil die scheinbar sichere und übersichtliche Umgebung für sie plötzlich und unangekündigt zu einem direkten Trigger für eine tiefsitzende unangenehme Erfahrung wird. Das bis dahin präsente Gefühl der Kontrolle ist kollabiert und hat sich in eine Erfahrung der Ohnmacht und des massiven Stresses verwandelt. ABSOLUTER NOGO: Jeder muss mitmachen!
Die Illusion der Kontrolle und das Risiko der Überforderung
Die Angst vor der Höhe (Akrophobie) ist nicht einfach eine triviale Unbehaglichkeit; Sie ist eine tief verwurzelte, oft (aus der Lebensgeschichte erwachsene) irrationale, aber real empfundene Bedrohung. Für Menschen, die auch unter leichter Akrophobie leiden, ist der Hochseilgarten keine „Herausforderung", sondern eine potenziell traumatisierende Erfahrung. Der Körper reagiert mit einer vollen und umfassenden Stressantwort: Tachykardie, Hyperventilation, Schwindel, Übelkeit und Panikgefühle. In solch einem Zustand (auch in leichten Ausprägungen) ist rationales Denken erheblich eingeschränkt, und die Person ist nicht in der Lage, sich auf die Sicherheitsanweisungen oder die Koordination der Bewegungen zu konzentrieren. Die Annahme, dass jeder diese Angst „einfach durchmachen und überwinden" muss und kann, verkennt die Tiefe phobischer Reaktionen. ABSOLUTER NOGO: Psychische Belastung (auch wenn sie diskret auftreten) ignorieren!
Eng verbunden damit ist die Problematik des Kontrollverlusts. Während die Trainerinnen und Trainer die Sicherheit der Ausrüstung betonen, liegt die Verantwortung für das korrekte An- und Umhängen der Sicherungssysteme bzw. die Bewältigung des Parcours beim Teilnehmenden selbst, eine potenziell überfordernde Anforderung unter Stress. Für Menschen mit bspw. Zwangsstörungen, die ein hohes Bedürfnis nach Kontrolle über Details haben, oder für Personen, die in der Vergangenheit traumatische Erfahrungen durch Kontrollverlust gemacht haben (z. B. Mobbing, Unfälle, Überfälle), kann diese Situation re-traumatisierend wirken. Die erzwungene Abgabe der Kontrolle und das Vertrauen auf externe Systeme können spontan tiefe Ängste auslösen, die weit über das „normale" Unbehagen hinausgehen und das Gefühl von Hilflosigkeit verstärken. ABSOLUTER NOGO: Zwang zur Teilnahme bei bekannten (auch leichten) Ängsten!
Sozialer Druck als psychische Falle
Der soziale Druck bei Aktivitäten in Hochseilgärten ist ein oft unterschätzter, aber für die betroffenen Personen hochwirksamer Faktor. Die Erwartung, „mutig" zu sein und keine Schwäche zu zeigen, insbesondere vor Freundinnen und Freunden, Arbeitskolleginnen und Kollegen, Familie oder im Rahmen von Teambuilding-Maßnahmen, kann dazu führen, dass Personen ihre Vorbehalte und Ängste ignorieren oder unterdrücken. Das ist nicht nur ungesund, da es die Verarbeitung der Emotionen verhindert, sondern kann auch gefährlich sein. Wer unter extremem Leistungsdruck steht, ist möglicherweise eher bereit, Risiken einzugehen oder seine Grenzen zu überschreiten, was die Unfallgefahr erhöht. ABSOLUTER NOGO: Leistungsdruck erzeugen!
Besonders kritisch ist dies in Teambuilding-Kontexten. Hier wird oft eine Form des „Zwangsmuts" erzeugt. Individuen, die sich weigern oder nicht in der Lage sind, teilzunehmen, können stigmatisiert oder als „nicht teamfähig" wahrgenommen werden. Dies kann zu Ausgrenzung, Schamgefühlen und einem Verlust des Selbstwertgefühls führen, anstatt das gewünschte positive Gruppenerlebnis zu fördern. Die Gruppendynamik kann hier eine toxische Rolle spielen, indem sie individuellen Ängsten keinen Raum zur Akzeptanz gibt. ABSOLUTER NOGO: Stigmatisierung bei Nicht-Teilnahme!
Selbstwirksamkeit: Eine fragile Konstruktion
Die Idee, dass der Hochseilgarten die Selbstwirksamkeitserwartung stärkt, ist ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Während ein erfolgreicher Durchlauf z. B. im niedrigen Bereich positive Effekte haben kann, birgt das Scheitern oder die Überforderung, egal in welcher Höhe, grundsätzlich das Risiko einer nachhaltigen Schädigung des Selbstwertgefühls. Wenn eine Person trotz aller Anstrengungen den Parcours, egal in welcher Höhe und bei welchem Schwierigkeitsgrad, nicht bewältigen kann oder eine Angst- oder Panikattacke erleidet und abbrechen muss, verstärkt das die innere Überzeugung, bestimmten Herausforderungen nicht gewachsen zu sein. Dieses Gefühl des Versagens geht dann nicht selten über die spezifische Situation hinaus und wird generalisiert und wirkt sich negativ auf andere Lebensbereiche aus. ABSOLUTER NOGO: Abbruch als Versagen werten!
Dazu kommt, dass die Selbstwirksamkeit nicht immer durch das tatsächliche Meistern der Aufgabe, sondern oft durch das bloße „Durchhalten und Ertragen" unter extremem Druck definiert wird. Die Person mag zwar den Parcours beenden, aber zu einem hohen psychischen Preis, ohne dass eine echte Angstbewältigung und/oder Entwicklung stattgefunden hat. Dies ist eher ein Zwangsverhalten als ein Ausdruck gestärkter Kompetenz. ABSOLUTER NOGO: Zwanghaftes „Durchziehen" fördern!
Zum Abschluss: Das Abenteuer als psychologisches Minenfeld
Aus einer kritischen Psychologinnensicht ist die Arbeit im und mit dem Hochseilgarten keineswegs ein universell positives oder harmloses Vergnügen, das jedem und jeder zugemutet werden kann. Während er für manche eine bereichernde Erfahrung darstellen mag, birgt er für nicht wenige Personen mit bspw. spezifischen Ängsten, negativen Vorerfahrungen, Traumata, hohem Kontrollbedürfnis oder unter starkem sozialen Druck erhebliche psychische Risiken. Es ist ethisch in jedem Fall fragwürdig, Personen, die offensichtlich Schwierigkeiten mit dieser Aktivität haben und unter diffusen Ängsten leiden, in eine solche Situation zu drängen, ohne eine vorherige psychologische Einschätzung oder umfassende Aufklärung über die potenziellen Belastungen und Risiken. ABSOLUTER NOGO: Fehlende Aufklärung über psychische Risiken!
Eine verantwortungsvolle Herangehensweise muss in jedem Fall eine detaillierte individuelle Einschätzung, die Möglichkeit des jederzeitigen Abbruchs ohne Stigmatisierung und gegebenenfalls eine psychologische Begleitung bei extremen Angstreaktionen umfassen. Andernfalls kann das vermeintliche "spannende Abenteuer" zu einem psychologischen Minenfeld werden, das mehr Schaden als Nutzen anrichtet. ABSOLUTER NOGO: Fehlende Abbruchmöglichkeiten ohne negativen Kontext!
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