
Draußen lernen
Eine Betrachtung
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Programme in und mit der Natur bzw. mit Naturbezug werden heute genauso eingesetzt wie auch zu anderen Zeiten, um bspw. soziale, personale und/oder praktische Kompetenzen zu fördern. Die Arbeit in der Natur dient dabei als Rahmen und Lernumfeld, in dem heute (Ausnahmen sind gegeben) Selbstständigkeit, Verantwortungsübernahme, Zusammenarbeit und Problemlöseverhalten gestärkt werden.
Nationalsozialistische Jugendorganisationen wie die Hitlerjugend und der Bund Deutscher Mädel nutzten ebenfalls „natürliche Räume“, jedoch mit speziellen Zielsetzungen. Im Zentrum stand die Formung einer „volkstümlich“ geprägten Jugend, die ideologisch konform, gehorsam und körperlich belastbar sein musste. Liest man heute die eine oder andere Webseite, dann wirken inhaltlich so manche Angebote, wenn man volkstümlich mit angepasst“ ersetzt, sehr ähnlich.
Fest steht, dass früher wie heute die Natur als „Schauplatz für Bildung und Entwicklung“ genutzt wurde. Lager, Fahrten, Geländeaufträge, Spiele, Übungen, Klettern oder Orientierungsmärsche zu Tag und zu Nacht bildeten damals wie heute den aktivitätsbezogenen Rahmen für gemeinschaftliches Erleben. In heutigen Konzepten geht es bei nahezu gleichen Aktivitäten und Tätigkeiten vordergründig darum, in naturnahen Settings z. B. die Selbstwahrnehmung zu schärfen und/oder soziale und gemeinschaftliche Prozesse zu ermöglichen. Das primäre Ziel scheint die Entwicklung von Kompetenzen zu sein, die im Alltag und Beruf Anwendung finden können. Naturarbeit im Nationalsozialismus war ein äußerst geeignetes Vehikel zur sozialen Gleichschaltung und militärischen Vorbereitung, zur Einübung von Disziplin und zur Festigung eines Weltbilds, das individuelle Bedürfnisse systematisch ignorierte und ausklammerte.
Physische Aktivität hat in beiden Ansätzen eine zentrale Rolle. Heute werden bspw. Bewegungsaufträge eingesetzt, um Gesundheit, Motorik, Körperbewusstsein oder Teamfähigkeit zu fördern. Die Zielstellung ist die Stärkung des Selbstvertrauens und des Teamgefühls durch selbst gesetzte und erreichte Herausforderungen. Im nationalsozialistischen Kontext waren Sport und Bewegung mehr Mittel zur „(Ab-)Härtung“ und „Ertüchtigung“. Die Zielrichtung war eindeutig militärisch: Marschieren, Geländesport, Schießausbildung und Drill waren Vorbereitung auf eine kämpfende Rolle im Krieg und auf die Rolle im „Volkskörper“.
Gemeinschaftserlebnisse sind ein weiteres verbindendes Element. In der heutigen Arbeit in der Natur (sofern achtsam damit umgegangen wird) dienen sie der Förderung von Kooperation, Vertrauen und solidarischem Handeln. Gruppenprozesse werden angeleitet, moderiert, reflektiert und an Lernzielen, die der Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit dienen, ausgerichtet. Im Unterschied dazu instrumentalisierten die nationalsozialistischen Organisationen das Gemeinschaftserleben zur Erzeugung von blinder Loyalität gegenüber dem autoritären Kollektiv. Ziel war nicht die individuelle Entwicklung, sondern die Identifikation mit einer totalitären Ordnung und der Ausschluss Andersdenkender.
Die strukturelle Gestaltung der Programme unterscheidet sich zwar weitgehend in der pädagogischen Zielsetzung, nicht aber im organisatorischen Aufbau. Auch heutige Outdoorangebote sind geplant, angeleitet und zielgerichtig gestaltet. Hier stehen, neben der physischen und psychischen Sicherheit, wenn gut gemacht, die pädagogische Begleitung, die persönliche Entwicklung und eine offene solidarische Gemeinschaft im Vordergrund. Die NS-Programme hingegen waren hierarchisch und autoritär organisiert. Das Führerprinzip war nicht nur Organisationsmodell, sondern zugleich ideologisches Ziel: Es ging explizit um die Einübung in bedingungslosen Gehorsam und die Abhängigkeit vom „Führer“.
Der Begriff des „Erlebnisses“ taucht in vielen Outdoorkontexten auch heute noch mit unterschiedlicher Funktion auf. In der heutigen Bildungsarbeit wird (mit Ausnahmen) der Begriff Erleben als Ausgangspunkt für Reflexion und Transfer genutzt. Das theoretische Ziel ist, nachhaltiges Lernen durch persönliche Erfahrung zu fördern. In der NS-Erziehung war (wie auch da und dort heute noch) das Erlebnis eine Inszenierung. Abenteuer, Lagerfeuer, Symbole und Rituale dienten der emotionalen Bindung an Personen bzw. die Organisation. Die Kinder und Jugendlichen sollten sich aufgehoben fühlen, um sie anschließend leichter in das ideologische System einzugliedern.
Auch praktische Fertigkeiten sind Bestandteil beider Ansätze. Gegenwärtig geht es um lebensnahe Aufgaben wie Orientierung, Zeitmanagement, Selbstorganisation, Gruppenverantwortung oder bspw. Regelbewusstsein. Ziel ist die Entwicklung von Alltagstauglichkeit sowie Fertigkeitsaufbau und Handlungskompetenz. In der Hitlerjugend und im Bund Deutscher Mädel wurden hingegen geschlechtsbezogene Rollenbilder eingeübt. Jungen erhielten Kenntnisse und Fertigkeiten für den Wehrdienst, Mädchen wurden auf die Rolle der pflichtbewussten Mutter und Hausfrau vorbereitet. Ziel war die frühzeitige Zuordnung zu einer vordefinierten gesellschaftlichen Position und Rolle.
Spiele und spielerische Elemente finden sich in beiden Systemen. In heutigen Programmen sind sie methodischer Bestandteil zur Förderung von Kreativität, Problemlösestrategien und sozialem Lernen. Die Zielsetzung liegt in der Unterstützung von kooperativen Lernprozessen in entspannter Atmosphäre. Im Nationalsozialismus waren Spiele Mittel zur Anwerbung und Bindung. Ihre Funktion war weniger pädagogisch als propagandistisch. Sie dienten als Einstieg in ein System, das später keine kritischen Gedanken und Fragen mehr zuließ bzw. auch keinen natürlichen Widerstand mehr erzeugte.
Auch das Thema „Struktur und Disziplin“ zeigt deutliche Parallelen in der Form, nicht jedoch (hoffentlich) in der Intention. Heutige Programme setzen auf transparente Regeln zur Sicherstellung von Fairness, gutem Umgang miteinander, Sicherheit und Verlässlichkeit. Ziel dabei ist die Förderung von Selbstkontrolle, Selbstwirksamkeit und Verantwortungsübernahme. Die nationalsozialistische Disziplin hatte in diesem Bereich andere Zwecke: Sie zielte auf blinde Einordnung, Anpassung und Unterwerfung und sukzessive Auslöschung individuellen Denkens.
Leistungsnachweise oder Abzeichen bzw. Trainer- und Trainerinnenfeedback tauchen in beiden Ansätzen auf. Heute motivieren sie zu Engagement und fördern das Gefühl der Selbstwirksamkeit. Das Ziel liegt in der Anerkennung individueller und gemeinschaftlicher Fortschritte. Im Nationalsozialismus waren Leistungsabzeichen Ausdruck von Loyalität und Eignung im Sinne der Ideologie. Sie unterschieden zwischen „wertvollen“ und „weniger wertvollen“ Kindern und Jugendlichen.
Ausblick
Die Arbeit in und mit der Natur ist pädagogisch wertvoll, wenn ihre Gestaltung auf fundierten Theorien, den Menschen und die Vielfalt bejahende Haltungen sowie reflektierten Zielen basiert. Der
historische Vergleich zeigt, wie leicht Strukturen, Methoden und Symbole in unterschiedliche Richtungen wirken können. Gerade in der Jugend- und Erwachsenenbildung braucht es von Seiten der
Outdoorpädagoginnen und Outdoorpädagogen ein Bewusstsein dafür, wie Machtverhältnisse, Sprache, Motivation und Gemeinschaftserleben eingesetzt werden. Wer Programme plant, muss nicht nur
methodisch versiert, sondern auch historisch informiert sein. Bildung in und mit der Natur ist mit Sicherheit ein bedeutsames Feld, vorausgesetzt, die Umsetzung der Programme folgt klaren
ethisch-moralischen Prinzipien und fördert echte Teilhabe, kritisches Denken und persönliche Entwicklung.
Wenn Interesse und Bedarf bestehen, unterstützen wir dich gerne. Reden wir darüber! Unsere Angebote zu diesem Themenbereich:
- Lehrlingsbildung
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- Outdoorpädagogik
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