Hoch hinauf!

Überforderung statt Erkenntnis?

Hochseilgärten in der Pädagogik

Ein kritischer Blick auf Wirkung, Risiken und Grenzen eines beliebten Trainingsformats: Hochseilgärten gelten in speziellen Kreisen als besonders gut geeignetes Werkzeug der Bildungsarbeit, insbesondere im Kontext von Persönlichkeitsentwicklung, Teamtrainings und der Forderung sozialen Lernens. Die Höhe, die körperliche Herausforderung und das Gruppenerlebnis sollen, so die Befürworterinnen und Befürworter, emotionale Prozesse anstoßen, die Reflexion fördern und Kompetenzen wie Selbstvertrauen oder Kommunikation stärken. Doch die Frage, ob und unter welchen Bedingungen diese Wirkungen tatsächlich eintreten, wird in der Regel nicht systematisch gestellt. Vielmehr zeigt sich eine Tendenz zur unkritischen Übertragung von Annahmen, die weder empirisch abgesichert noch psychologisch hinreichend reflektiert sind.

 

Zwar kann eine Grenzerfahrung in einem Hochseilgarten die Selbstwahrnehmung verändern, doch nicht jede intensive Erfahrung ist automatisch entwicklungsfreundlich und/oder entwicklungsförderlich. Körperlich herausfordernde Situationen aktivieren zunächst vor allem stressbezogene Reaktionsmuster. Das sind erhöhte Muskelspannung, beschleunigter Puls, hormonelle Ausschüttungen (Noradrenalin, Adrenalin und Cortisol). Aus psychologischer Sicht spricht man von einer Aktivierung des sympathischen Nervensystems. Je nach individueller Veranlagung, Lerngeschichte und psychischer Stabilität kann diese Aktivierung zu motivierender Anspannung führen oder zu Überforderung, Dissoziation und Rückzug.

 

Ein wiederkehrendes und vielfach unterschätztes Risiko besteht jedenfalls in der sogenannten „kognitiven Blockade“. D. h., unter starker Belastung und Anspannung fällt es dem Gehirn schwer (bzw. wird es verunmöglicht), Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten oder/und in Verbindung mit bestehenden (Vor-) Erfahrungen zu bringen. Lernen im engeren Sinn, also die bewusste Integration von Erlebtem in vorhandene Handlungsmuster, wird dadurch verhindert oder zumindest enorm erschwert. Bei Menschen mit Vorbelastungen (bspw. gänzliches Fehlen von Erfahrung in diesem Bereich, Angststörungen, traumatische Erfahrungen oder niedriges Selbstwertgefühl) kann die Arbeit an Hochseilgartenelementen sogar kontraindiziert sein, da sie Unsicherheiten verstärken oder unkontrollierbare (sichtbare oder nicht sichtbare) emotionale Reaktionen auslösen kann.

 

In pädagogischen Settings im Hochseilgarten dürfte eigentlich nicht übersehen werden, dass nicht jede Person in der Gruppe von denselben Voraussetzungen ausgeht. Während einige den Hochseilgarten als produktiven (An-)Reiz empfinden, erleben andere so etwas wie einen potenziellen bzw. realen Kontrollverlust. Die Folge sind Rückzug, Scham, wenig förderliche soziale Vergleichsprozesse und langfristige Demotivation. Wird das nicht professionell begleitet, kann sich das pädagogische Ziel ins Gegenteil verkehren. Lernende verlassen die Situation nicht gestärkt, sondern entmutigt.

 

In jedem Fall birgt der Einsatz von Hochseilgärten gruppendynamisch weitere Herausforderungen. Konkret heißt das, dass das bestehende Rollenverhalten der einzelnen Teilnehmenden in körperlich und emotional fordernden Situationen oft unbewusst verstärkt wird. D. h., dominante Persönlichkeiten übernehmen Entscheidungen, während introvertierte oder unsichere Teilnehmende sich noch weiter zurückziehen. Ohne gezielte pädagogische Begleitung und Intervention reproduziert die Aktivität im Hochseilgarten bestehende Hierarchien, statt sie zu hinterfragen und aufzubrechen. Das gilt auch für geschlechtsspezifische Verhaltensmuster, die in der Höhe, z. B. im Kontext von Risikobereitschaft oder Hilfesuche, besonders deutlich zutage treten. Ohne kritische Bearbeitung und Auswertung verstärken sich bestehende stereotype Selbstbilder.

 

Auch auf der Verhaltensebene kann beobachtet werden, dass ungünstige Effekte auftreten. Personen, die Aufgaben nicht bewältigen, entwickeln nicht selten kompensierende Strategien: Das sind bspw. Ironisierung, Abwertung der Methode oder Projektion von Verantwortung auf Äußeres oder andere. Das dient dem Schutz des Selbstbildes, erschwert oder verunmöglicht nachhaltige Lernprozesse. Wird in der Aktivitätsreflexion lediglich die Erfahrung beschrieben („Du hast es geschafft“ oder „Du hast Mut gezeigt“), bleiben relevante kognitive und emotionale Prozesse unbeachtet. Ohne methodische Tiefe und differenzierte Gesprächsführung bleibt der Hochseilgarten gerade einmal ein Erlebnis ohne echten Lerneffekt.

 

Zudem zeigt die Praxis, dass Gruppen unter performativem Druck (sozialer und kultureller Druck, bestimmte Handlungen oder Verhaltensweisen auszuführen, die als angemessen oder erwartungsgemäß in einem bestimmten Kontext angesehen werden) stehen können, insbesondere in betrieblichen Kontexten. Der Wunsch, sich vor Vorgesetzten bzw. Kolleginnen und Kollegen zu beweisen, der implizite Zwang zur Teilnahme und die öffentliche Sichtbarkeit des Handelns können zu problematischen Motivlagen führen. In solchen Konstellationen überlagern Statusdenken und Konformitätsdruck die angestrebte Reflexion von Kooperation und Vertrauen. Pädagogische Ziele geraten in den Hintergrund, weil das Verhalten vorrangig durch soziale Erwartungen gesteuert wird.

 

Ein weiterer kritisch zu betrachtender Punkt betrifft die Kommerzialisierung. Viele Anbietende versprechen schnelle Veränderungen, „Persönlichkeitswachstum“ oder „Teamkultur in einem Tag“. Diese Versprechungen sind weder realistisch noch wissenschaftlich haltbar. Pädagogische Prozesse brauchen Zeit, Differenzierung und Wiederholung. Wer psychische oder soziale Prozesse in einem Halbtagesmodul bearbeiten will, reduziert komplexe Entwicklungsfragen auf oberflächliche und symbolische Gesten. Der Hochseilgarten wird so zum pädagogischen Feigenblatt eines oberflächlichen Bildungsverständnisses.

 

Wissenschaftlich betrachtet fehlt es an breit genug angelegten Lang- und Querschnittzeitstudien, welche die nachhaltige Wirkung von Hochseilgärten auf Persönlichkeitsmerkmale oder soziale Fertigkeiten belegen. Kurzfristige positive Effekte, etwa ein gestärktes Selbstwert- und Selbstwirksamkeitsgefühl oder die Gruppenzugehörigkeit, sind zwar messbar, verschwinden jedoch regelmäßig und rasch innerhalb weniger Tage ohne Anschlussmaßnahmen. Entscheidend ist, ob das Erlebte und Erfahrene in bestehende Handlungsmuster eingebettet wird, und genau hier ist die Rolle der pädagogischen Fachkraft zentral. Ohne fachlich fundierte Begleitung kann das Erlebnis bzw. die Erfahrung sogar zu innerer Ablehnung gegenüber weiteren Lernformaten in den jeweiligen Lern- und Themenbereichen führen.

 

Ausblick

 

Hochseilgärten bieten Potenzial, aber nur unter sehr engen Voraussetzungen. Sie können emotionale Prozesse initiieren, die pädagogisch wertvoll sein können, bergen jedoch auch eine ganze Reihe von Risiken: psychische Überforderung, soziale Ausgrenzung und falsche Leistungserwartungen. Für die Zukunft sind ein stärker differenzierter Einsatz und eine bessere pädagogische Begleitung notwendig. Die Auswahl der Methode muss immer entlang konkreter Zielgruppenmerkmale, Ziele und vor allem verfügbarer fachlicher Begleitressourcen erfolgen. In den Ausbildungen zu diesem Arbeitsbereich müssen angehende Fachkräfte in die Lage gebracht werden, psychische Risiken zu antizipieren und zu erkennen, alternative Methoden einzusetzen und die Reflexion und Nachbearbeitung strukturiert und inhaltlich kompetent anzuleiten. Der Hochseilgarten darf nicht als Ersatz für pädagogische Tiefe genutzt werden, sondern muss eingebettet sein in ein tragfähiges, achtsames und fachlich begründetes Bildungskonzept. 

 

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