Ich will selber tun
Eigenständig trotz geringer Lese- und Schreibkompetenz
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2024
Ein Beispielthema aus unserer Ausbildungspraxis, mit dem wir uns in der Jugend- und Erwachsenenbildung auseinandersetzen: Gestaltung eines Bildungsangebots zum Thema „Wohnungssuche im und mit dem Internet“ für Menschen mit geringer Lese- und Schreibkompetenz.
Die Arbeit mit Menschen, die geringe Lese- und Schreibkompetenzen haben, erfordert eine sorgfältige und angepasste Methodik, insbesondere wenn es darum geht, notwendige digitale Kompetenzen zu vermitteln. Bei der Gestaltung eines Bildungsangebots zur Wohnungssuche im Internet muss der Fokus zu jeder Zeit auf einfache, klare Strukturen, visuelle Unterstützung und handlungsorientierte Lernmethoden liegen, um den Lernenden Selbstständigkeit zu ermöglichen. Nachfolgend die zehn zentralen didaktischen Ansätze und Methoden, die in einem solchen Bildungsangebot berücksichtigt werden müssen und die mit Sicherheit wirken, wenn die Rahmenbedingungen, die Zeit und vor allem die Ziele stimmig sind.
1. Einfache, klare Sprache
Der Einsatz einfacher, verständlicher Sprache ist essenziell, um kognitive Überforderung zu vermeiden. Lehrende müssen auf kurze, prägnante Sätze achten und Fachbegriffe durch alltagssprachliche Alternativen ersetzen. Dies erleichtert den Lernenden das Verständnis und den Transfer der Inhalte auf ihre Lebens- und Verstehenswirklichkeit.
Didaktische Anregung: Statt „Immobilienplattform“ könnte die Formulierung „Webseite, auf der man Wohnungen suchen kann“ verwendet werden. Eine Anleitung könnte lauten: „Geben Sie den Ort ein, an dem Sie eine Wohnung suchen möchten.“
2. Visuelle Unterstützung
Menschen mit geringer Lese- und Schreibkompetenz profitieren stark von visueller Unterstützung. Piktogramme, Bilder und farbliche Hervorhebungen konsequent und durchgehend genutzt werden, um die Lernprozesse zu vereinfachen und zu erleichtern.
Didaktische Anregung: Um den Fokus auf bspw. die Suchleiste, den Filter und den „Suchen-Button“ zu lenken, bietet sich ein Screenshot einer typischen Wohnungs-Suchseite an. Das schafft Übersicht und Orientierung und erleichtert die Anwendung.
3. Schritt-für-Schritt-Anleitungen
Lernende benötigen klare, strukturierte Schritte, um Aufgaben erfolgreich zu bewältigen. Schritt-für-Schritt-Anleitungen müssen durch den gesamten Kurs hindurch präsent sein und immer wieder neu geübt werden. Lehrende müssen diese Anleitungen wiederholt visuell und praktisch vermitteln.
Didaktische Anregung: Der Ablauf der Wohnungssuche sollte in so wenig, wie möglich klare Schritte unterteilt werden: 1. Webseite aufrufen, 2. Ort eingeben, 3. Filter auswählen, 4. Ergebnisse anschauen.
4. Interaktive Übungen und Learning by doing
Interaktive Methoden sind von entscheidender Bedeutung, um den Teilnehmenden die notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln. Handlungsorientierte Aufgaben und Übungen, bei denen die Lernenden mit Unterstützung der Lehrenden reale oder simulierte Aufgaben bearbeiten, fördern nicht nur das Verständnis, sondern auch das Selbstbewusstsein im Umgang mit digitalen Tools.
Didaktische Anregung: Die Teilnehmenden erhalten fiktive Szenarien (z.B. „Suchen Sie eine Wohnung in Ihrer Nähe“), die sie eigenständig mithilfe von Internetrecherche bewältigen. Dabei können sie die zuvor erarbeiteten und genutzten Unterlagen sowie die erlernten Techniken anwenden.
5. Peer-Learning und Gruppenarbeit
Peer-Learning-Ansätze sind bei Zielgruppen mit geringerer formaler Bildung sehr wirksam. D.h., Lernende unterstützen sich gegenseitig, was nicht nur den Lernerfolg fördert, sondern auch das soziale Miteinander stärkt.
Didaktische Anregung: Teilnehmende arbeiten in Kleingruppen an einem Computer und unterstützen sich bei der Suche und Recherche nach einer Wohnung. Durch den Austausch über die genutzten Begriffe und Suchstrategien wird das erlernte Wissen vertieft und konkretisiert.
6. Wiederholung und Praxisfestigung
Lernende, welche geringe Lese- und Schreibkompetenzen aufweisen, profitieren stark von regelmäßigen Wiederholungen und der Festigung von Inhalten durch praxisnahe Übungen. Lehrende müssen deshalb ausreichend Raum für Wiederholungen schaffen und sicherstellen, dass die Lernenden das Erlernte in verschiedenen Kontexten anwenden können.
Didaktische Anregung: Wöchentlich werden neue Übungsszenarien angeboten (z.B. Wohnungssuche in verschiedenen Stadtteilen, für unterschiedliche Bedürfnisse). Auf diese Weise lassen die Lehrenden die Lernenden das zuvor Erlernte kontinuierlich üben, vertiefen und damit festigen.
7. Individuelle Betreuung und Unterstützung
Für Lernende mit geringer Lese- und Schreibkompetenz ist es besonders wichtig, dass sie während des Lernprozesses individuelle Unterstützung erhalten. Lehrende müssen daher jederzeit ansprechbar sein, um möglich Fragen zu beantworten und bei Problemen direkt zu helfen und unterstützen zu können.
Didaktische Anregung: Eine Lehrende bzw. ein Lehrender begleitet die Lernenden während der gesamten Recherchephase, gibt Hilfestellung bei der Eingabe von Suchbegriffen und unterstützt bei der Navigation auf der Webseite.
8. Praktische Hilfsmittel
Um den Transfer des Gelernten in den Alltag zu erleichtern, müssen zudem praktische Hilfsmittel wie Checklisten oder visuelle Schritt-für-Schritt-Anleitungen entwickelt und zur Verfügung gestellt werden. Diese dienen als Orientierung und ermöglichen es den Lernenden, auch außerhalb des Kurses erfolgreich zu agieren.
Didaktische Anregung: Eine Checkliste mit Symbolen und in einfacher Sprache könnte die wichtigsten Schritte zur Wohnungssuche enthalten: „1. Webseite aufrufen, 2. Ort eingeben, 3. Filter auswählen, 4. Wohnungen ansehen, 5. Vermieter kontaktieren.“
9. Realitätsnahe Lerninhalte
Die Inhalte des Bildungsangebots müssen in jedem Fall lebensnah und alltagsrelevant sein. Menschen mit geringer Lese- und Schreibkompetenz lernen am besten, wenn sie die unmittelbare Relevanz des Themas für ihr eigenes Leben erkennen.
Didaktische Anregung: Die Teilnehmenden suchen mittels Internet nach Wohnungen in ihrem eigenen Stadtteil oder in der Nähe von für sie wichtigen Orten wie Arbeitsplätzen oder Schulen.
10. Feedback und Reflexion
Regelmäßiges Feedback ist entscheidend, um Lernfortschritte zu dokumentieren, zu unterstützen und den Lernprozess zu steuern. Lehrende sind angehalten, nach jeder Übungssituation gezielte Rückmeldungen zu geben, um die Lernenden zu bestätigen, zu bestärken und mögliche Verbesserungspotenziale aufzuzeigen.
Didaktische Anregung: Nach einer Rechercheaufgabe könnte das Feedback so aussehen: „Du hast die richtige Webseite gefunden und die Suche gut durchgeführt, versuche beim nächsten Mal, die Filteroptionen stärker zu nutzen, um noch genauere Ergebnisse zu erhalten.“
Bilanz
Ein Bildungsangebot zur Wohnungssuche im Internet für Menschen mit geringer Lese- und Schreibkompetenz erfordert neben Zeit einen niedrigschwelligen und geduldigen Ansatz. Durch die Kombination aus einfacher Sprache, visueller Unterstützung, interaktiven Übungen und individueller Betreuung können Lernende die notwendigen digitalen Kompetenzen erwerben und in die Lage versetzt werden, eigenständig Wohnungsrecherchen im Internet durchzuführen. In jedem Fall müssen die Lehrenden während des gesamten Lern- und Aneignungsprozesses stets die Lebenssituation der Zielgruppe und die Alltagsrelevanz der Inhalte wie auch die besonderen Bedürfnisse der Zielgruppe im Blick behalten.
Übersicht der 10 Punkte:
- Einfache, klare Sprache: Verwendung einfacher, alltagsnaher Formulierungen zur Vermeidung von Überforderung.
- Visuelle Unterstützung: Einsatz von Bildern, Piktogrammen und farblichen Hervorhebungen zur Erleichterung des Lernprozesses.
- Schritt-für-Schritt-Anleitungen: Klare, strukturierte Anleitungen, die in kleinsten und kleinen Schritten den Lernfortschritt unterstützen.
- Interaktive Aufgaben, Übungen und Learning by doing: Handlungsorientierte Aufgaben, bei denen die Lernenden reale oder simulierte Wohnungssuchen durchführen.
- Peer-Learning und Gruppenarbeit: Förderung von Gruppenarbeit und Austausch zur Stärkung des gemeinsamen Lernens und gegenseitigen Unterstützens.
- Wiederholung und Praxisfestigung: Regelmäßige Wiederholung und Anwendung in verschiedenen Szenarien zur Festigung des Erlernten.
- Individuelle Betreuung: Persönliche Unterstützung durch Trainerinnen oder Tutorin-nen, um individuelle Fragen zu beantworten.
- Praktische Hilfsmittel: Einsatz von Checklisten und Schritt-für-Schritt-Anleitungen zur Unterstützung bei der Umsetzung im Alltag.
- Realitätsnahe Lerninhalte: Alltagsrelevante Übungen, die direkt auf die Lebensrealität der Lernenden abgestimmt sind.
- Feedback und Reflexion: Regelmäßiges Feedback zur Lernentwicklung und Verbesserung der Lernstrategie.
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