Perfektion

Die Illusion von 100%

Warum sie mehr schadet als nützt

Autor: in Manfred Hofferer / Renate Fanninger & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025

Perfektion – ein Wort, das glänzt. Es klingt nach Kontrolle, Erfolg und Bewunderung. Doch hinter diesem Ideal steckt oft mehr Druck als Befreiung. Die Psychologie zeigt uns: Der Wunsch nach Perfektion ist nicht nur unerreichbar, sondern kann sogar krank machen.

 

Was ist eigentlich „perfekt“?

 

Wörtlich bedeutet perfekt „vollendet“. Doch dieser scheinbar klare Begriff entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als trügerisch. Denn was als perfekt gilt, ist hochgradig subjektiv – abhängig von individuellen Werten, Prägungen, kulturellen Einflüssen und der jeweiligen Lebensphase.

 

Drei kurze Beispiele:

  • Für einen Künstler ist ein perfektes Werk das, was berührt, nicht das, was technisch makellos ist.
  • Eine Mathematikerin empfindet vielleicht eine elegante, logische Lösung als Perfektion.
  • Für eine Mutter kann Perfektion heißen, nie zu versagen – was ein unmenschlicher Anspruch ist.

Das Ergebnis: Perfektion ist kein objektiver Zustand. Sie ist ein Spiegel der Vorstellungen der Menschen – nicht der Realität.

 

Warum Perfektion unerreichbar bleibt

  1. Weil sie sich ständig verändert. Was mit 18 für perfekt gehalten wurde, wirkt mit 30 vielleicht naiv. Unsere Sicht auf das Leben, auf uns selbst und auf das, was „gelingt“, verändert sich stetig. Perfektion ist ein Ziel, das sich ständig verschiebt – je näher man diesem Ziel kommst, desto weiter entfernt es sich wieder.
  2. Weil das Menschsein Unvollkommenheit bedeutet: Fehler zu machen ist kein Makel – es ist ein Teil der menschlichen biologischen und psychischen Entwicklung. Der Mensch lernt, weil er scheitert. Perfektion wäre ein Zustand des Stillstands – und der steht im Widerspruch zum Wesen des Lebens, das von Veränderung lebt.

Wenn der Wunsch nach Perfektion zur Falle wird

 

Der psychologische Perfektionismus ist keine Tugend – sondern vielmehr eine Quelle von Leiden. Menschen mit überhöhten Ansprüchen an sich selbst laufen Gefahr, in destruktive Muster zu rutschen: bspw.

  • Angst zu versagen: Alles unter „perfekt“ wird als Scheitern empfunden.
  • Prokrastination: Aus Angst vor Fehlern wird lieber gar nicht erst angefangen.
  • Selbstwertprobleme: Die eigene Leistung wird nie als „genug“ empfunden.
  • Burnout & Depression: Chronische Überforderung und ständige Selbstkritik erschöpfen Körper und Geist.

Die Perfektion in der Welt da draußen – und die Täuschung

 

In sozialen Medien oder im Berufsleben begegnen uns täglich scheinbar perfekte Menschen: durchtrainierte Körper, makellose Beziehungen, mühelose Karrieren. Doch das meiste davon ist inszeniert. Viele vergleichen ihr gelebtes Innenleben mit dem gefilterten Außenbild anderer – und fühlen sich selbst unzureichend. Der Perfektionsanspruch wächst weiter, die Unzufriedenheit auch.

 

Psychologisches Fazit: Es braucht Mut zur Unvollkommenheit

 

Perfektion ist keine Realität – sie ist ein Mythos. Wer ihr hinterherläuft, entfernt sich mehr von sich selbst. Echtheit, Entwicklung und persönliche Sinnhaftigkeit sind nicht nur realistischer – sie machen auch glücklicher. „Gut genug“ ist kein fauler Kompromiss. Es ist vielmehr der mutigste und gesündeste Weg.

 

An dieser Stelle hilft vielleicht der Gedanke an und die Beschäftigung mit „Wabi-Sabi": Das ist eine Denkhaltung, die in Japan entstanden ist und die Schönheit des Vergänglichen und des Unvollkommenen betont. Der Begriff „Wabi“ steht dabei für Schlichtheit, Bescheidenheit und Natürlichkeit, während „Sabi“ die Herrlichkeit des Werdens und die Hinnahme der Vergänglichkeit des Lebens zum Ausdruck bringt.

 

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