
Ein neues Verhältnis
Lernbeziehungen im digitalen Zeitalter
Autor Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Technisch richtig aber menschlich wirksam? Wie sich KI-Antworten und menschliche Rückmeldungen im Lernprozess unterscheiden. Die Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) in Bildungskontexten verändert die Art, wie Wissen zugänglich wird. Aber Lernen ist mehr als reine Informationsverarbeitung. Es ist ein sozialer, emotionaler und vor allem individueller Prozess. Wer sich mit den Unterschieden zwischen einer KI-Antwort und einer Rückmeldung durch einen Menschen auseinandersetzt, erkennt rasch: Beide Formen des Antwortgebens erzeugen unterschiedliche Wirkungen – mit Konsequenzen für Lerntiefe, Selbstreflexion und Entwicklung.
1. Informationsqualität: Präzision vs. Kontextsensitivität
Künstliche Intelligenzen liefern weithin korrekt strukturierte und kohärente Informationen. Ihre Antworten basieren auf Datensätzen und vorliegenden Sprachmodellen. Diese Art des Wissenszugangs eignet sich gut für Fakten, Zusammenfassungen oder standardisierte Aufgaben. Der Mensch kann gezielt Fragen stellen und erhält rasch inhaltlich dichte Rückmeldungen.
Aber genau an diesem Punkt endet auch die Wirksamkeit: Die KI erkennt nicht, in welchem emotionalen Zustand sich die lernende Person befindet, ob die Frage aus Unsicherheit oder echtem Erkenntnisinteresse gestellt wird oder ob der Inhalt bereits bekannt ist, aber im falschen Kontext verstanden wurde.
Menschen sind in der Lage sensibler zu reagieren. Eine Lehrende Person erkennt an der Situation, den aktuellen Rahmenbedingungen, dem realen Kontext, am Tonfall oder am nonverbalen Verhalten, ob eine (Rück-) Frage eine Verlegenheit überdecken soll oder echtes Interesse ausdrückt. In der beruflichen Weiterbildung beispielsweise kann eine erfahrene Person wahrnehmen, ob eine Teilnehmerin eine Frage aus echtem Interesse stellt oder lediglich aus Pflichtgefühl handelt – und entsprechend gezielt nachfragen, um das Thema zu vertiefen oder einen neuen Zugang zu eröffnen. Daraus folgt: Menschliche Rückmeldungen bieten nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine kontextuelle Tiefe, die situativ und auf das Gegenüber abgestimmt individuell angepasst werden kann.
Fragt bspw. eine Person: „Wie funktioniert Feedback richtig?“, dann liefert die KI eine strukturierte Aufzählung von Feedbackregeln. Ein Mensch hingegen fragt zurück: „Was meinst du genau – Feedback geben oder annehmen?“ und bietet Beispiele aus einem realen Lebensbezug. Die Rückmeldung ist situativer, sie öffnet neue und spezifische Austausch- und Reflexionsräume.
2. Beziehung: Interaktivität, Vertrauen und Resonanz
Lernen entfaltet sich in sozialen Prozessen. Die Rückmeldung eines Menschen ist nie neutral. Sie ist durch Beziehung geprägt – ob durch Vertrauen, Respekt, Irritation oder sogar durch Konflikt. Genau diese emotionale Komponente macht Lernprozesse nachhaltig. Menschen spiegeln und verarbeiten nicht nur das Gesagte, sondern auch das Ungesagte. Sie beziehen sich in der Aufnahme und Verarbeitung der Information auf Haltung, Auftreten und vermittelte Werte.
KI-Systeme geben keine Rückmeldung zur Wirkung des Lernverhaltens. Sie bestätigen oder ergänzen Informationen. Doch es fehlt die Resonanz – also die Erfahrung, mit der eigenen Person und dem eigenen Denken in Beziehung zu treten.
Irritiert bspw. eine Person in einer Gruppenarbeit durch dominantes Verhalten, dann würde die KI diese Beobachtung ignorieren. Ein Mensch kann hier eingreifen, z. B. durch eine Rückmeldung wie: „Dir ist wichtig, dass deine Meinung gehört wird – hast du auch wahrgenommen, wie die anderen darauf reagieren?“. Solche Rückmeldungen fördern soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Empathie oder Konfliktlösung – ein zentraler Bereich in der Jugend- und Erwachsenenbildung.
3. Selbstbild und Motivation
Rückmeldungen von Menschen sind nicht nur Informationsträger, sondern Beziehungs- und Identitätsangebote. Eine Rückmeldung kann beschämen oder ermutigen, motivieren oder bremsen. Wer lernt, sucht immer auch nach Orientierung im Selbstbild: Bin ich auf dem richtigen Weg? Wird meine Leistung gesehen? Was denken andere über mich?
KI-Antworten vermeiden diese Tiefe. Sie sind unpersönlich und bewertungsfrei. Für manche Lernende ist das angenehm – sie vermeiden auf diese Weise bspw. Angst vor Bewertung. Das, was jedoch fehlt, ist der für Lernen und Entwicklung gleichzeitig notwendige Aufbau einer belastbaren Lernbeziehung.
Zweifelt bspw. eine lernende Person, ob sie sich für ein Seminar eignet, dann geht eine KI objektiv auf die Anforderungen ein. Ein Mensch erkennt dagegen rasch das zögerliche Verhalten, fragt nach den Unsicherheiten, teilt eigene Erfahrungen – und bietet so Orientierung auf einer personalisierten Ebene.
4. Selbststeuerung und Verantwortungsübernahme
Lernen mit KI ist stark auf Selbststeuerung ausgelegt. Die lernende Person entscheidet, was gefragt wird, wann eine Rückmeldung sinnvoll erscheint, wann aufhört oder weitermacht wird. Diese Offenheit ist eine Chance – sie fördert Eigenverantwortung und Unabhängigkeit.
Doch gerade bei ungeübten oder unsicheren Lernenden kann sie auch zu Überforderung führen. Ohne Gegenüber fehlt die Rückmeldung zur Lernstrategie, zur Zielklarheit oder zur realistischen Selbsteinschätzung.
Ein Mensch in einer lernbegleitenden Rolle bietet hier Orientierung – etwa in Coaching-Situationen, wenn gemeinsam Lernziele definiert, Zwischenschritte reflektiert oder Verhaltensmuster besprochen werden. Er spiegelt Lernerfolg und -verhalten, gibt Impulse zur Priorisierung, weist auf blinde Flecken hin. Dadurch entsteht nicht nur eine inhaltliche Entwicklung, sondern auch eine Reflexion über das eigene Lernhandeln.
5. Fehlerkultur und Umdeutung
KI reagiert weithin neutral auf Fehler. Sie korrigiert oder/und bietet Alternativen. Menschen hingegen reagieren auf Fehler, Unstimmigkeiten und Unklarheiten mit Emotionen – Verwunderung, Zustimmung, Kritik oder Zurückweisung. Gerade diese Reaktionen machen Fehler im Lernprozess sichtbar und verarbeitbar. Wird beispielsweise ein Argument in einer Diskussion unklar formuliert, kann eine irritierte Reaktion von Mitlernenden auf Unsicherheiten hinweisen, die im Anschluss gemeinsam geklärt werden – ein Prozess, den KI nicht einleitet. Denn aus Fehlern zu lernen, bedeutet auch, sie umzudeuten, neu zu formulieren, zu verstehen und zu verarbeiten.
Eine Person, die ein Vorhaben unsicher formuliert: „Ich glaube, ich würde vielleicht …“. Erfährt, dass die KI diese Sprachform ignoriert. Ein Mensch dazu im Unterschied greift sie auf: „Klingt so, als ob du noch nicht ganz überzeugt bist. Was hindert dich?“ – und öffnet einen Raum für Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung.
Was bleibt?
Die Integration künstlicher Intelligenz in Bildungsprozesse bietet zweifellos viele Vorteile – vor allem für individuelles, ortsunabhängiges und faktenbasiertes Lernen. Sie erleichtert Recherche, entlastet Lehrende von Routinen, gibt strukturierte Inhalte wieder. Doch für nachhaltige Bildungsprozesse reicht das nicht aus. Lernen ist immer auch (analog wie digital) ein Prozess sozialer und psychologischer Auseinandersetzung.
Wer Kompetenzentwicklung ernst nimmt, muss Räume für Beziehung, Rückmeldung und Identitätsarbeit schaffen. Menschen sind dabei nicht ersetzbar – sie spiegeln, hinterfragen, irritieren und stärken. Entscheidend wird nicht sein, ob KI oder Mensch „besser“ antwortet, sondern wann welche Form sinnvoll ist. Für eine zukunftsfähige Bildung braucht es beides: Technologische Präzision – und menschliche Tiefe.
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