
Spiele sammeln vs. Pädagogik verstehen
Warum eine Ausbildung unerlässlich ist
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Die unendlichen Weiten des Internets gleichen einem Ozean an Informationen, Anregungen und Ideen. Für jene, die sich in der Jugend- und Erwachsenenbildung mit der Natur auseinandersetzen, ist es verlockend, diesen Ozean nach Spielen und Übungen zu durchforsten. Aber hier gilt: „Für das Zusammentragen von Spielen und Übungen aus dem Internet ist keine Ausbildung nötig.“ Mit ein paar Klicks lassen sich unzählige Aktivitäten finden, von einfachsten Naturbeobachtungsspielen bis hin zu komplexen Teamaufgaben.
Doch hier setzt die entscheidende Frage ein: Heißt „Spiele und Übungen haben“ gleichzeitig auch „sie passend und sinnvoll einsetzen“? Nein! Wer die Planungsüberlegungen von Pädagoginnen und Pädagogen verstehen möchte, kommt nicht um eine professionelle Ausbildung herum.
Das Trugbild der einfachen Verfügbarkeit
Der Gedanke, dass das Internet alle nötigen Ressourcen für die pädagogische Arbeit bereithält, ist weit verbreitet, aber falsch. Man findet zwar detaillierte Anleitungen, Materiallisten und sogar Erfahrungsberichte, und auf den ersten Blick scheint es, als könnte man sich eine teure und zeitintensive Ausbildung sparen. Aber dieses Denken verkennt und ignoriert die Hintergründe und tieferen Schichten pädagogischer Arbeit. Es ist wie der Unterschied zwischen dem Besitz eines Kochbuchs und der Kompetenz, eine Sterneküche zu leiten. Das Kochbuch liefert die Rezepte, aber die Kunst des Kochens erfordert Verständnis für Zutaten, Verfahren, Methoden, Techniken und Aromen und die Kompetenz, auch unter Druck kreativ zu sein.
Ähnlich verhält es sich in der Arbeit in und mit der Natur:
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Der Kontext ist König: Ein Spiel bzw. eine „Übung“, das respektive die in einem bestimmten Kontext hervorragend funktioniert, kann in einem anderen völlig fehl am Platz sein oder sogar
negative Effekte erzeugen. Ein im Internet gefundenes Spiel mag für eine Gruppe von Personen bspw. in einem Stadtpark konzipiert sein. Wendet man es jedoch ungefiltert bei einer Gruppe
Jugendlicher in einem anderen Kontext an, darf man sich nicht wundern, wenn die gewünschten Effekte ausbleiben oder sogar gegenteilige Ergebnisse wie Langeweile, Frustration oder Aggression
entstehen. Eine Ausbildung schult darin, den Kontext zu analysieren und dabei vor allem die Altersgruppe, die Vorkenntnisse und -erfahrungen, die Dynamik in der Gruppe, den spezifischen Ort
und die speziellen und übergreifenden Ziele der Veranstaltung.
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Anpassung statt Übernahme: Professionelle Pädagoginnen und Pädagogen übernehmen Spiele und Übungen nicht einfach, sie adaptieren sie. Sie verstehen die Intentionen und Mechanismen, die
einem Spiel oder einem Auftrag zugrunde liegen, und können diese flexibel anpassen. Sie wissen, wie man die Komplexität und die Schwierigkeitsgrade variiert, Regeln modifiziert oder Material
ersetzt, um ein Spiel für die spezifischen Bedürfnisse und Fertigkeiten und Kompetenzen der Gruppe optimal zu gestalten. Diese Anpassungskompetenz resultiert aus einem tiefen Verständnis
pädagogischer Prinzipien, nicht aus einer Materialsammlung.
- Didaktische Progression: Effektive Bildungsarbeit baut aufeinander auf. Einzelne Spiele sind in der Regel nur kleine Bausteine in einem größeren Lehr- oder Lernprozess. Eine Ausbildung vermittelt das Wissen, wie man eine sinnvolle didaktische Progression (schrittweise und sinnvolle Anordnung von Lerninhalten, um einen optimalen Lernfortschritt zu gewährleisten) gestaltet, wie man Spiele und Übungen so anordnet, dass sie thematisch logisch aufeinander aufbauen, die Teilnehmenden schrittweise an neue Inhalte heranführen und zu einem übergeordneten Lernziel führen. Pädagogik heißt immer, eine (Lern-)Geschichte zu erzählen, nicht nur einzelne Sätze zu zitieren.
Was eine professionelle Ausbildung wirklich leistet
Eine professionelle Ausbildung in der Arbeit für und mit der Natur, sei es durch ein Hochschulstudium, spezialisierte Weiterbildungsprogramme oder anerkannte Zertifikatslehrgänge, geht weit über das bloße Kennen von Spielen und Übungen hinaus. Sie vermittelt ein ganzheitliches und von fachlicher Qualität getragenem Verständnis für den Bildungsauftrag und stattet angehende Pädagoginnen und Pädagogen mit einem breiten Spektrum an Kenntnissen und Kompetenzen aus, die für eine wirksame und verantwortungsvolle Arbeit unerlässlich sind:
Die 5 wichtigsten Säulen pädagogischer Kompetenz
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Pädagogische Didaktik und Methodik: Das „Warum“ und „Wie“ des Lehrens Hier lernt man nicht nur, was man lehrt, sondern auch, wie und warum man es so lehrt. Es geht
darum, die pädagogisch-psychologischen Grundlagen des Lernens zu verstehen: Wie nehmen Menschen Wissen auf? Welche Faktoren beeinflussen die Motivation? Wie gestaltet man eine Lernumgebung,
die Neugier weckt und zum aktiven Mitmachen anregt? Eine Ausbildung vermittelt die Kompetenz, die Themen an die Zielgruppe anzupassen, Lernziele präzise zu formulieren und die passenden
Methoden auszuwählen, um diese Ziele zu erreichen. Man lernt, wie man komplexe Zusammenhänge so aufbereitet, dass sie für unterschiedliche Altersgruppen greifbar und relevant werden, und wie
man Phänomene durch praktische Erfahrungen greifbar macht. Das umfasst vor allem die Kompetenz, differenzierte Angebote zu entwickeln, die den unterschiedlichen Ausgangslagen und
Vorkenntnissen der Teilnehmenden gerecht werden.
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Umgang miteinander und Kommunikation: Das Miteinander gestalten Die Arbeit in und mit der Natur findet in der Regel immer in Gruppen statt. Eine Ausbildung schult im Erkennen und
Managen von Prinzipien des kooperativen Umgangs miteinander, das wie entstehen Konflikte und wie können sie konstruktiv gelöst werden? Wie fördert man gegenseitige Hilfestellung und
Zusammenarbeit? Welche Kommunikationsstrategien und -techniken sind effektiv, um alle Teilnehmenden zu erreichen und eine offene Atmosphäre zu schaffen, in der sich jede und jeder sicher und
gehört fühlt? Das beinhaltet auch das Erlernen von aktiver Zuhörkompetenz, die Kompetenz, nonverbale Signale zu deuten, und die Entwicklung von Empathie für die individuellen Bedürfnisse
aller Gruppenmitglieder. Ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen wissen, wie man eine anfängliche Fremdheit in der Gruppe in ein Gefühl der Zugehörigkeit umwandelt.
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Lebens- und Entwicklungspsychologische Grundlagen: Kinder, Jugendliche und Erwachsene lernen auf unterschiedliche Weise und haben verschiedene bis weit differente Bedürfnisse, Motive
und Ziele. Eine Ausbildung vermittelt eine fundierte Kenntnislage über die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung in verschiedenen Lebensphasen. Dieses Wissen ermöglicht es, Spiele,
Übungen, Aufträge, Gespräche und Diskussionen so zu gestalten, dass sie nicht nur altersgerecht sind, sondern auch die individuellen Entwicklungsprozesse der Teilnehmenden fördern. Man lernt
beispielsweise, warum spielerisches Lernen für kleine Kinder essenziell ist, während Jugendliche eher von partizipativen Projekten profitieren und Erwachsene den Bezug zu ihren eigenen
Lebenserfahrungen suchen. Ohne dieses Verständnis besteht die Gefahr, dass Angebote entweder unterfordern, überfordern oder schlichtweg irrelevant für die Zielgruppe sind.
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Sicherheitsmanagement und Risikobewertung: Die Arbeit in und mit der Natur birgt immer auch spezifische Risiken, von unebenem und unübersichtlichem Gelände oder potenziell gefährliche
Pflanzen oder Tieren bis hin zu Wetterextremen. Eine professionelle Ausbildung legt großen Wert auf Risikobewertung und Sicherheitsmanagement. Man lernt, was man braucht, um potenzielle
Gefahrenquellen identifizieren zu können, präventive Maßnahmen zu ergreifen, Notfallpläne zu erstellen und im Ernstfall angemessen zu reagieren. Das beinhaltet auch Kenntnisse für das
Anleiten zu sicherem Verhalten in der Natur und das Bewusstsein für rechtliche Aspekte wie z. B. der Aufsichtspflicht. Diese Kompetenzen sind nicht nur für die Sicherheit der Teilnehmenden
unerlässlich, sondern auch für die rechtliche Absicherung der durchführenden Person oder Institution.
- Reflexion, Evaluation und Qualitätsentwicklung: Gute pädagogische Arbeit ist ein iterativer Prozess, also eine Vorgehensweise, bei der ein Vorhaben oder ein Projekt in mehreren Zyklen (Iterationen) entwickelt und verbessert wird. Eine Ausbildung lehrt in diesem Kontext explizit die Reflexionskompetenz: Die Kompetenz, die eigene Arbeit kritisch zu hinterfragen, Stärken und Schwächen zu erkennen und daraus zu lernen. Dazu zählt auch die Evaluation von Programmangeboten bzw. einzelnen Einheiten. Wie wird der Erfolg der Angebote gemessen? Haben die Teilnehmenden das gelernt, was beabsichtigt war? Was kann/muss beim nächsten Mal besser gemacht werden? Diese systematische Herangehensweise an die Qualitätsentwicklung ist ein Kernmerkmal professioneller Pädagogik und unterscheidet sie vom unreflektierten Einsatz gesammelter Materialien. Man lernt, Feedback einzuholen, Daten zu analysieren und auf dieser Grundlage die eigenen Methoden und Inhalte kontinuierlich zu optimieren.
Bedeutung für die Zukunft
Die Arbeit draußen ist heute wichtiger denn je. Angesichts globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel, dem Verlust der Artenvielfalt und der zunehmenden Entfremdung von der Natur braucht es kompetente Fachkräfte, die Menschen inspirieren, Wissen vermitteln, begleiten und zu nachhaltigem Denken und Handeln motivieren können. Eine fundierte pädagogische Ausbildung trägt maßgeblich dazu bei, die Qualität und Wirksamkeit dieser Bildungsangebote sicherzustellen.
Wer sich mit der pädagogischen Arbeit in und mit der Natur beschäftigt, trägt eine immense Verantwortung. Es geht nicht nur darum, Wissen zu den zu erarbeitenden Themenbereichen zu vermitteln, sondern auch darum, Werte zu prägen, Empathie für die Mit- und Umwelt zu entwickeln und letztlich zu einem verantwortungsvollen Umgang mit unseren natürlichen, sozialen und umweltlichen Ressourcen zu befähigen. Das bloße Sammeln von Spielen aus dem Internet mag ein erster Schritt sein, aber der Weg zu einer wirkungsvollen und nachhaltigen Bildungsarbeit führt unweigerlich über eine professionelle Ausbildung. Sie ist die Grundlage, um die Planungsgedanken, die Didaktik, die Methodik, die psychologischen Hintergründe und die Sicherheitsaspekte zu verstehen und eigenständig anwenden und umsetzen zu können. Nur so wird aus einer Materialsammlung ein lebendiges, bedeutungsvolles Bildungserlebnis.
Es lohnt sich in jedem Fall, etwas genauer darüber nachzudenken, wenn das nächste Mal ein Spiel oder eine Übung (Copy-Paste) aus dem Internet gezogen wird. Die Fragen lauten: Was tue ich da und warum tue ich das und wie kann ich das Spiel, die Übung oder den Auftrag optimal an meine Zielgruppe anpassen? Vielleicht ist das der Moment, in dem der Wunsch nach einer fundierten Ausbildung geweckt wird. Eine Investition, die sich für die Trainerinnen und Trainer genauso auszahlt wie für die Teilnehmenden.
Wenn Interesse und Bedarf bestehen, unterstützen wir dich gerne. Reden wir darüber! Unsere Angebote zu diesem Themenbereich:
- Lehrlingsbildung
- Train the Trainer:in
- Soft Skill Trainer:in
- Outdoorpädagogik
- Bildungsbike-Trainer:in
- Ausbildung Bildungsbiken
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