
Vermeintlicher Widerspruch
Gegensätze, die gemeinsam stark machen
Autor Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Wie fokussiertes Denken und spontane Flexibilität Lernprozesse und Lehrpraxis in Einklang bringen: Konzentration und Improvisation in der Pädagogik der Jugend- und Erwachsenenbildung
Auf den ersten Blick wirkt die Verbindung dieser beiden Begriffe widersprüchlich: Etwa so, als würde man bei einem Vortrag sowohl eine perfekt ausgearbeitete Präsentation als auch freie Rede gleichzeitig erwarten. Während Konzentration Präzision und Vorbereitung erfordert, lebt Improvisation vom Mut und der Hingabe zum Ungeplanten. Konzentration erfordert Ruhe, Struktur und Fokus, während Improvisation Spontaneität, Offenheit und Bewegung und Beweglichkeit voraussetzt. Doch wer Bildungsprozesse genauer betrachtet, erkennt, dass beide Kompetenzen sich nicht ausschließen, sondern einander bedingen und verstärken – besonders in der Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen.
Konzentration: Fokussieren, Wahrnehmen, Durchdringen
In pädagogischen Prozessen ist Konzentration nicht bloß eine stille Tätigkeit, sondern ein aktiver Zustand geistiger Bündelung. Lernende müssen Konzepte erfassen, Probleme analysieren und Informationen verarbeiten. Diese Prozesse sind nur dann erfolgreich, wenn Ablenkungen reduziert und die Aufmerksamkeit auf ein konkretes Ziel gerichtet wird. In der Erwachsenenbildung bedeutet das häufig, dass bestehende Erfahrungen reflektiert und neue Inhalte mit vorhandenem Wissen verknüpft werden. Ein Lernender in der Kommunikationstrainerausbildung etwa muss sich auf Gesprächsprozesse, nonverbale Signale und Feedbackstrukturen gleichzeitig konzentrieren können.
Konzentration entsteht jedoch nicht automatisch. Sie ist stark abhängig von den äußeren Bedingungen und Faktoren, die den Fokus auf eine Aufgabe überhaupt erst ermöglichen. Sie muss durch strukturierte Aufgaben, klare Zielsetzungen und angemessene zeitliche Rahmenbedingungen unterstützt werden. Pädagogische Fachkräfte schaffen dafür Räume: durch Pausenstrukturen, durch didaktische Reduktion und durch gezielte Aktivierungs-, Austausch- und Reflexionsphasen.
Improvisation: Reagieren, Gestalten, Verändern
Improvisation ist nicht das Gegenteil von Planung – sie ist deren Fortführung unter neuen Bedingungen. In der pädagogischen Praxis zeigt sich diese Kompetenz besonders dann, wenn Pläne nicht greifen: Wenn eine Gruppe anders reagiert als erwartet, wenn technische Mittel ausfallen oder wenn Fragen auftauchen, die über das ursprünglich geplante Thema hinausgehen. Dann ist die Kompetenz gefragt, souverän und kreativ darauf einzugehen und aktiv zu handeln.
Improvisation basiert keineswegs auf Zufall. Ein Beispiel aus der Erwachsenenbildung zeigt das deutlich: In einem Kommunikationstraining kann es passieren, dass ein Teilnehmer emotional auf ein Rollenspiel reagiert. Eine erfahrene Lehrperson muss in diesem Moment flexibel handeln, das Gespräch auffangen und gleichzeitig das Lernziel im Blick behalten – eine klare Improvisationsleistung, die auf fachlicher Sicherheit beruht. Wer improvisieren will, braucht Handlungssicherheit, kommunikative Kompetenzen und die Bereitschaft, Unvorhergesehenes nicht als Störung, sondern als Möglichkeit zu sehen. In der Bildungsarbeit bedeutet das, flexibel auf Bedürfnisse einzugehen, Inhalte spontan umzugestalten oder methodisch zu wechseln – ohne das Ziel aus dem Blick zu verlieren.
Wechselwirkungen in der pädagogischen Praxis
Die produktive Verbindung von Konzentration und Improvisation zeigt sich in vielen Szenarien. Eine Lehrperson, die einen komplexen Inhalt erklärt, benötigt Konzentration, um auf fachliche Genauigkeit zu achten, aber auch Improvisation, um auf Rückfragen oder Missverständnisse einzugehen. Ebenso braucht ein Lernender in der Teamarbeit Konzentration, um den Auftrag zu erfüllen, aber auch Improvisation, um neue Ideen einzubringen oder Konflikte konstruktiv zu lösen.
In der theaterpädagogischen Arbeit mit Jugendlichen etwa wechseln sich konzentrierte Probenphasen mit improvisierten Szenen ab. Ein ähnliches Zusammenspiel zeigt sich im beruflichen Kontext: In einem Moderationstraining müssen Teilnehmende einerseits methodisch sicher durch ein geplantes Thema führen, andererseits flexibel auf Einwürfe oder Situations- und Gruppendynamiken reagieren können. Beide Elemente fördern nicht nur kognitive, sondern auch soziale und emotionale Kompetenzen: Zuhören, wahrnehmen, nachfühlen, reagieren, gestalten. D.h., dass sich in Wahrheit immer konzentrierte Probenphasen mit improvisierten Szenen abwechseln müssen. Beide Elemente sich wichtig und notwendig und wichtige Voraussetzung für Lernen, Veränderung und Entwicklung.
Didaktische Anknüpfungspunkte
Die Verbindung beider Kompetenzen kann gezielt gefördert werden: durch Aufgabenformate, die einerseits Konzentration verlangen – etwa Analyseaufträge oder stille Schreibphasen – und andererseits Freiraum, der Raum für Improvisation lässt – bspw. Rollenspiele oder spontane Austausch-, Umgangs- und Gruppenprozesse. Wichtig ist, dass beide Formen als gleichwertige Bestandteile des Lernens genutzt und vermittelt werden. Nicht alles muss geplant sein, und nicht alles darf dem Zufall überlassen werden. Bildung bedeutet, beides einzuüben.
Ausblick
Die Balance zwischen Konzentration und Improvisation verändert sich stetig. In der praktischen pädagogischen Arbeit zeigt sich deutlich, wie beide Kräfte ineinandergreifen und sich gegenseitig stärken können und eine fruchtbare dynamische Wechselbeziehung eingehen. In der pädagogischen Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen muss man als Lehrende bzw. Lehrender lernen, diese beiden Pole als sich gegenseitig verstärkende (Wirk-) Kräfte zu nutzen. Wer konzentriert denkt, kann sicherer improvisieren. Wer improvisiert, lernt Neues, das sich später konzentriert vertiefen lässt. Pädagogische Konzepte, die diese scheinbare Gegensätzlichkeit als unterschiedliche Ausgangspunkte anerkennen, schaffen Raum für echtes, lebendiges Lernen. In einer Welt, in der Planbarkeit abnimmt und Flexibilität zunimmt, werden diese Kompetenzen zu zentralen Bestandteilen professionellen Handelns in Bildungskontexten.
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