
Bewegung im Kopf
Ein Leben lang
Autor und Autorin: Manfred Hofferer, Renate Fanninger & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Wer sich intensiver mit der Thematik Lernen im Erwachsenenalter beschäftigt, dem wird nicht entgangen sein, dass sich das Verständnis der neuronalen Plastizität im menschlichen Gehirn in den letzten Jahrzehnten fundamental gewandelt hat. Die althergebrachte Annahme und Vorstellung, dass das erwachsene Gehirn nach einer kritischen Entwicklungsphase keine neuen Neuronen mehr bildet, wurde durch die Entdeckung der adulten Neurogenese widerlegt.
Diese Erkenntnis hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Didaktik und die Methodik der Erwachsenenbildung. Sie legt nahe, dass Lernprozesse im Erwachsenenalter nicht nur auf der Reorganisation bestehender neuronaler Netzwerke basieren, sondern aktiv die strukturelle Erneuerung des Gehirns fördern können.
Die Basis der Neurogenese
Allgemein beschreibt der Prozess der Neurogenese die Neubildung von Nervenzellen aus neuralen Stamm- und Vorläuferzellen. Dieser Prozess findet im adulten Säugetiergehirn, einschließlich des menschlichen Gehirns, in spezialisierten Nischen statt. Die primären Regionen der Neurogenese sind die subgranuläre Zone des Hippocampus und die subventrikuläre Zone der lateralen Hirnventrikel, aus denen Neuronen zum Riechkolben wandern (Er ist nicht nur die Schaltstelle für olfaktorische Reize, sondern auch der Ort, an dem ständig neue Nervenzellen, sogenannte Neurone, entstehen).
Der Hippocampus ist aufgrund seiner zentralen Rolle bei Gedächtnisbildung, räumlicher Navigation und emotionaler Verarbeitung von besonderer Relevanz für die Kognition. Neu gebildete Neuronen in dieser Region werden in bestehende neuronale Schaltkreise integriert, was die synaptische Plastizität und die funktionelle Anpassungsfähigkeit des Gehirns erhöht.
Einflussfaktoren und Wirkmechanismen
Die Geschwindigkeit der Neurogenese ist nicht statisch bzw. linear, sondern wird durch eine Vielzahl endogener und exogener Faktoren beeinflusst und moduliert. Eine der stärksten stimulierenden Faktoren ist die kognitive Aktivität. D.h., dass das Erlernen komplexer und anspruchsvoller Aufgaben, die aktive Problemlösung und die kontinuierliche Auseinandersetzung mit neuen Reizen dem Gehirn einen Bedarf an adaptiver Kapazität signalisieren. Dieser Stimulus führt zur Freisetzung neurotropher Faktoren wie dem Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF), der die Proliferation der Stammzellen und das Überleben der „neugeborenen Neuronen“ fördert.
Tiermodelle haben gezeigt, dass Tiere, die in kognitiv angereicherten Umgebungen leben, eine signifikant höhere Neurogenese-Geschwindigkeit aufweisen als ihre Artgenossen in reizarmen Umgebungen.
Weitere signifikante Einflussfaktoren sind:
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Physische Aktivität: Regelmäßige körperliche Bewegung und Sport erhöhen die zerebrale Durchblutung und die Ausschüttung von neurotrophen Faktoren, was die Neurogenese im Hippocampus
nachweislich fördert.
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Stress: Chronischer Stress und erhöhte Spiegel von Glukokortikoiden, insbesondere Cortisol, wirken sich neurotoxisch aus und hemmen die Neurogenese signifikant. Eine Reduktion von
Stressfaktoren ist daher eine notwendige Bedingung für eine optimale Gehirnentwicklung auch im fortgeschrittenen Alter.
- Schlaf: Die Konsolidierung von Gedächtnisinhalten, ein zentraler Prozess des Lernens, findet primär während des Schlafs statt. Ein ausreichender und qualitativ hochwertiger Schlaf ist essenziell für die Integration und Stabilisierung neu gebildeter Neuronen in die bestehenden und aktiven neuronalen Netzwerke.
Didaktische Implikationen für die Erwachsenenbildung
Diese Erkenntnisse über Neurogenese erfordern ein Um- und Neudenken sowie einen Paradigmenwechsel in der Erwachsenenbildung. Die wichtigste Konsequenz: Statt einer passiven Wissensaufnahme müssen Lernumgebungen geplant und gestaltet werden, welche die neurobiologische Plastizität gezielt ansprechen, anregen und aktiv fördern. Das impliziert zumindest folgende didaktische Prinzipien:
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Aktive, problembasierte Lernmethoden: Der Fokus muss auf Lernmethoden liegen, welche die Lernenden zur aktiven Auseinandersetzung und zur eigenständigen Problemlösung anregen. Passive
Vortragsformate sind weniger effektiv, da sie die kognitive Aktivität und damit die Neurogenese weniger bis gar nicht stimulieren.
Beispiel: Anhand einer konkreten Fallstudie, die ein reales, komplexes Problem präsentiert, erarbeiten die Teilnehmenden in Kleingruppen Lösungen. Die Trainerin bzw. der Trainer fungiert dabei lediglich als Coach: in, der bzw. die bei Bedarf Impulse gibt oder vertiefende Fragen stellt. Die Präsentation und Diskussion der Ergebnisse am Ende der Einheit ermöglicht eine gegenseitige Reflexion und die Integration verschiedener Lösungsansätze, was den aktiven Lernprozess vertieft.
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Förderung von Neuem und Komplexem: Das Gehirn reagiert besonders stark auf neue und komplexe Herausforderungen. Die Inhalte müssen so strukturiert sein und angeboten werden, dass sie
die Lernenden kontinuierlich herausfordern, ohne sie zu überfordern.
Beispiel: Die Trainerin einer Soft-Skill-Schulung beginnt mit einer einfachen Aufgabe, bei der die Teilnehmenden eine bekannte Problemlösungsmethode in einer Beispielsituation anwenden. Nachdem das mühelos gelingt, steigert sie die Komplexität, indem sie eine neue, unbekannte Variable hinzufügt. Anschließend müssen die Teilnehmenden diese Methode auf eine völlig neue, praxisnahe Fallstudie anwenden, die mehrere unbekannte Elemente enthält und eine kreative Anpassung der gelernten Methode erfordert.
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Gestaltung und Pflege einer unterstützenden Lernumgebung: Vor allem eine angstfreie und sozial interaktive und respektvoll-wertschätzende Lernumgebung ist entscheidend, um Stress zu
minimieren und die neurobiologischen Prozesse im Bereich der Neurogenese zu optimieren.
Beispiel: Im Seminar werden die Teilnehmenden laufend ermutigt, sich in einer respektvollen und offenen Atmosphäre gegenseitig Feedback zu geben. Dabei werden Methoden zum Einsatz gebracht, die sicherstellen, dass jede Rückmeldung wertschätzend formuliert wird. Durch gezielte Wiederholung und Übungen in Partnerinnen und Partnerarbeit bzw. kleinen, vertrauten Gruppen wird der soziale Austausch gefördert und die Scheu abgebaut, eigene Gedanken und Gefühle zu teilen. Ein zentraler Aspekt ist die Schaffung von Gelegenheiten, in denen jeder Beitrag als wertvoll erachtet wird, unabhängig vom Inhalt. Diese Umgebung minimiert Druck und fördert die aktive Beteiligung, wodurch die Teilnehmenden sicherer und entspannter lernen können.
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Integration von Pausen und Bewegung: Die Berücksichtigung und der aktive Einbau von Phasen physischer Aktivität in die Lehr- und Unterrichtspläne trägt wesentlich dazu bei, dass die
Neurogenese und damit die kognitive Leistungsfähigkeit gesteigert wird.
Beispiel: Die Gruppe teil sich bspw. in Zweier-Teams. Ein Teammitglied referiert die Kernpunkte des Vormittags, während das andere aktiv zuhört hat. Dabei sind die Teams auf einem kurzen Spaziergang rund um das Seminarhaus unterwegs. Nach jeweils 120 Sekunden gibt es ein Signal, worauf die Rollen getauscht werden. Diese Aufgabe kann bspw. dreimal wiederholt werden.
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Bewusstsein für die Bedeutung von Schlaf: In jedem Fall muss von den Lehrenden die Relevanz von ausreichendem Schlaf für die Gedächtniskonsolidierung klar kommuniziert werden, um auch
über diesem Bereich die Lernprozesse nachhaltig zu unterstützen.
Beispiel: Am Ende des Tages wird auf einem Flipchart eine schematische Darstellung gezeichnet. Sie schlägt eine Brücke von den heutigen Lerninhalten zu den gefestigten Fertigkeiten und Kompetenzen des nächsten Tages. Auf der Brücke steht das Wort „Schlaf“. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Brücke für die nachhaltige Speicherung und Anwendung der neuen Fertigkeiten und den Aufbau von Kompetenzen entscheidend ist.
Durch die konsequente Anwendung dieser fünf Prinzipien können Lernumgebungen so gestaltet werden, dass sie über den reinen Wissens- und Fertigkeitstransfer hinausgehen und gezielt die neurobiologische Basis für langfristiges und nachhaltiges Lernen stärken.
Alles in allem
Die Entdeckung der Neurogenese lässt sich schon in den 1960er Jahren bei "Joseph Altman und Gopal D. Das" verorten. Aber erst die Studien von "Eriksson et al." im Jahr 1998 konnten die allgemeine wissenschaftliche Gemeinschaft davon überzeugen, dass die Neurogenese auch beim erwachsenen Menschen stattfindet. Diese Erkenntnis transformierte (zumindest theoretisch) das Verständnis von Lernprozessen im Erwachsenenalter. Das Gehirn ist fortan (für die, die diesen Umstand zur Kenntnis genommen haben) ein nicht irgendwann fertiges, sondern ein lebenslang dynamisches Organ, das seine Struktur und Funktion bis ins höchste Alter anpassen und erneuern kann.
Die Erwachsenenbildung hat damit die Möglichkeit, durch die Gestaltung von lernförderlichen Umgebungen und gezielt eingesetzten Methoden bzw. die Gestaltung der Lehr- und Lernsettings diese neurobiologischen Prozesse zu aktivieren und in Gang zu halten. Eine zielgerichtete Anwendung dieser Prinzipien kann nicht nur die Wissensaneignung an sich, sondern vor allem die kognitive Resilienz und die langfristige Lernfähigkeit der erwachsenen Lernenden signifikant verbessern. Recherche und Professionalisierung zu diesem Thema lohnt sich!
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