Große Freiheit

Die Illusion der Selbstkontrolle

Warum Glück und Erfolg nicht allein in unseren Händen liegt

Die Botschaft ist, für manche Zielgruppe, ebenso verlockend wie aktuell allgegenwärtig: "Du bist der Schöpfer bzw. die Schöpferin deiner Realität." "Alles, was du brauchst, steckt bereits in dir." "Werde zum Schmied bzw. zur Gestalterin deines eigenen Glücks." In einer Welt voller Unsicherheiten und komplexer Herausforderungen bietet die Coaching-Industrie ein scheinbar einfaches Rezept für Erfolg, Freiheit und Zufriedenheit. Dieses Narrativ, dass die alleinige Macht des Individuums über sein Schicksal postuliert, hat eine ganze Branche von Lebensberatenden, Motivationsrednerinnen und -redner und "Mindset-Coaches" hervorgebracht.

 

Im Coaching-Segment in Österreich gibt es aktuell zwischen 5.000 und 7.000 Anbietende, die zusammen einen Jahresumsatz von mindestens 150 Millionen Euro generieren. Fachleute und Branchenverbände schätzen den Anteil der Anbietenden mit fragwürdigen Angeboten auf 20 % bis 30 %, wobei einige von einer noch höheren Dunkelziffer ausgehen.

 

Hinter der schillernden Fassade der Glückseligkeit, die manche Coaches durch das Erlangen von Kontrolle versprechen (immer häufiger auch im Mäntelchen der Bildung in Seminaren, Trainings oder Workshops), verbirgt sich eine tiefgreifende und weithin gefährliche Vereinfachung der menschlichen Existenz. Deshalb ist es entscheidend, diese künstlich erzeugte Freiheitsillusion sachlich zu dekonstruieren und jene komplexen Realitäten aufzuzeigen, die dabei (bewusst oder unbewusst) ignoriert werden.

 

Die Psychologie der Allmachtsfantasie: Wenn positives Denken ins Gegenteil umschlägt

 

Das Fundament vieler Coaching-Methoden ist die Überzeugung, dass die innere Einstellung die äußere Welt formt. Konzepte wie das „Gesetz der Anziehung“ erfreuen sich dabei großer Beliebtheit und suggerieren, dass positive Gedanken zwangsläufig zu positiven Ergebnissen führen. Während eine optimistische Grundhaltung und der Glaube an die eigene Wirksamkeit unbestreitbar wertvolle psychologische Ressourcen sind, pervertiert diese radikalisierte Form des positiven Denkens den Grundgedanken ins Negative.

 

Eines der größten Probleme ist das Phänomen des Victim Blaming, der Opferbeschuldigung. Wenn Erfolg eine reine Willensentscheidung ist, dann ist im Umkehrschluss auch jedes Scheitern selbstverschuldet. Krankheit wird zur Folge negativer Gedanken, Armut zum Resultat eines „Mangel-Mindsets“ und berufliches Scheitern zum Beweis fehlender Manifestationskraft. Diese Logik ist nicht nur unbarmherzig, sie ist auch falsch. Sie ignoriert systemische Ungerechtigkeiten, sozioökonomische Barrieren und schlichtweg das, was man im normalen Leben mit „Pech“ bezeichnet. Für Menschen, die trotz aller Anstrengungen mit Schwierigkeiten konfrontiert sind, erzeugt dieser Ansatz und Zugang (wenn auch meist implizit) enorme Schuld- und Schamgefühle. Anstatt sie zu stärken, bürdet dieser Ansatz ihnen die alleinige Verantwortung für Umstände auf, die in Wahrheit zu großen Teilen außerhalb ihrer Kontrolle liegen. 

 

Eng damit verbunden ist die sogenannte toxische Positivität. Die ständige Forderung, negative Emotionen zu vermeiden und jede Herausforderung als Chance zu betrachten, unterdrückt wichtige menschliche Gefühle. Angst, Trauer, Wut oder Enttäuschung und Verzweiflung sind keine Fehlfunktionen, sondern essenzielle Signale der menschlichen Psyche. Sie weisen ihn auf Probleme hin, helfen bei der Verarbeitung von Verlusten und motivieren zu Veränderungen und Entwicklung. Werden diese Emotionen systematisch durch bspw. „alles muss positiv gesehen werden“ unterdrückt, hat das in vielen Fälle eine Entfremdung von sich selbst zur Folge und im schlimmsten Fall führt das zu ernsthaften psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder ausgeprägten Angststörungen. Die propagierte "Freiheit" wird so zu einem Gefängnis und Verlies, in dem kein Platz für authentische menschliche Erfahrungen ist.

 

Das optimierte Selbst: Coaching als Spiegel der Leistungsgesellschaft

 

Die Popularität des Coaching-Narrativs lässt sich nicht ohne seinen soziologischen Kontext verstehen. Es fügt sich perfekt in die Ideologie des Neoliberalismus ein, in der das Individuum quasi als "Unternehmer bzw. Unternehmerin seiner bzw. ihrer selbst" betrachtet wird. In dieser Weltsicht werden z. B. gesellschaftliche Probleme privatisiert. D.h., anstatt die Verantwortung für soziale Sicherheit, faire Arbeitsbedingungen oder Chancengleichheit beim Staat oder der Wirtschaft zu suchen, wird sie auf den Einzelnen bzw. die Einzelne verlagert.

 

Das Coaching wird somit zu einer Technologie der Selbstoptimierung. Es geht nicht mehr primär darum, ein authentisches Leben, eingebettet in ein gutes Sozialsystem zu führen, sondern darum, die eigene Leistungsfähigkeit und Effizienz immer weiter zu maximieren, um im dunkel dargestellten Wettbewerb bestehen zu können. Der dabei ausgelöste Druck zur permanenten Selbstverbesserung, sei es durch Zeitmanagement-Hacks, Produktivitätstechniken oder die Kultivierung eines "Gewinner- und Gewinnerinnen-Mindsets", internalisiert die sozial ungerechten Bedingungen und Anforderungen des Marktes respektive des Wirtschafts- und Sozialsystems.

 

Die versprochene Freiheit entpuppt sich als die Freiheit, sich in die bestehenden ökonomischen Zwänge noch besser einordnen und unterwerfen zu können. Man arbeitet nicht mehr nur im Job, sondern permanent „an sich selbst“. Chronische Erschöpfung wird dann nicht als Folge prekärer Lebens-, Sozial- und/oder Arbeitsverhältnisse gesehen, sondern als persönliches Versagen im Selbstmanagement. Diese Perspektive verhindert einen freien und vor allem kritischen Blick auf gesellschaftliche Strukturen und stabilisiert bestehende Machtverhältnisse.

 

Das Geschäft mit der Sehnsucht: Unrealistische Versprechen und ihre Kosten

 

Man darf nicht übersehen und vergessen, dass Coaching ein weitgehend unregulierter Markt ist, auf dem hohe Summen umgesetzt werden. Insbesondere im Hochpreissegment wird "Freiheit" regelmäßig mit finanziellem Reichtum gleichgesetzt. Coaches versprechen, die Geheimnisse für passives Einkommen, schnellen Reichtum und ein Leben in Unabhängigkeit zu lüften. Die Sehnsucht vieler Menschen nach finanzieller Sicherheit und einem Ausbruch aus dem täglich belastenden Hamsterrad wird hier gezielt als Marketinginstrument eingesetzt.

 

Verbraucherschützende warnen nicht erst seit heute vor unseriösen Angeboten, bei denen Kundschaften mit überzogenen Versprechungen und nicht selten auch mit emotionalem Druck zum Abschluss teurer Verträge gedrängt werden. Die Inhalte dieser Programme sind in der Regel banal, wissenschaftlich nicht fundiert und bieten tatsächlich keinen nachhaltigen Mehrwert. In jüngster Zeit haben sogar deutsche Gerichte Coaching-Verträge im Wert von Tausenden von Euro für sittenwidrig und damit für nichtig erklärt, da die versprochene Leistung in keinem Verhältnis zum Preis stand (Recherche dazu lohnt sich!).

 

Die durch Werbung angetriebene Jagd nach Glück und der versprochenen Freiheit führt sehr viel häufiger direkt in die finanzielle Abhängigkeit und Verschuldung, also das genaue Gegenteil dessen, was in Aussicht gestellt und versprochen wurde.

 

Fazit: Für eine neue Definition von Freiheit und Verantwortung

 

Wichtig: Die Kritik an den weithin inhaltsleeren Versprechungen der Coaching-Industrie plädiert nicht für Tatenlosigkeit, sondern für Unterstützung beim Aufbau echter Eigenverantwortung. Persönliche Anstrengung, Resilienz und eine proaktive Lebensgestaltung sind und bleiben entscheidende Faktoren für ein gelingendes Leben. Der Mensch ist kein hilfloses Blatt im Wind der Umstände und der Zeit. Die Illusion, alles unter Kontrolle zu haben, beginnt erst dort, wo die alleinige und uneingeschränkte Kontrolle über alle Lebensbereiche postuliert wird.

 

Wahre Freiheit beginnt mit der Anerkennung der Realität in all ihrer Vielschichtigkeit und Komplexität. Sie beinhaltet die Akzeptanz, dass kein Mensch alles kontrollieren kann. Externe Faktoren, die Herkunft, unsere Gesundheit, gesellschaftliche Strukturen, globale Krisen und der pure Zufall spielen eine immense und nie ganz kontrollierbare Rolle im Leben der Menschen. Wahre Stärke zeigt sich nicht darin, diese Realitäten zu leugnen, sondern darin, die tatsächlichen Handlungsspielräume innerhalb dieser Gegebenheiten zu erkennen und bestmöglich zu nutzen. 

 

Seriöse Lehrende, Beratende bzw. Trainerinnen und Trainer würden niemals (auch nicht im Bildungskontext) die Illusion der totalen und auch nicht die der überwiegenden Kontrolle verkaufen. Sie würden Lernende vielmehr dabei unterstützen, ihre Resilienz gegenüber den Unwägbarkeiten zu stärken, konkrete, realistische Ziele zu entwickeln und mit den unvermeidlichen Rückschlägen des Lebens konstruktiv umzugehen. Anstatt das Glück zu einem Willensakt zu verklären, geht es in seriösen Angeboten darum, entsprechendes Wissen auszubauen und die persönliche Kompetenz zu entwickeln, auch in einem unperfekten Leben mit nicht immer angenehmen Umständen Sinn, Zufriedenheit und Handlungsfähigkeit zu finden. Das ist eine weitaus bescheidenere, aber letztlich ehrlichere und tatsächlich nachhaltigere Form der Freiheit. 

 

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