
In jedem Fall
Die Professionalität des Pädagogischen
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Wer genau hin- und zuhört merkt, dass die öffentliche Debatte über Bildung und die Rolle von Lehrpersonen zwischen zwei Polen oszilliert: dem Bild der aufopferungsvollen Berufung und der Vorstellung einer technokratischen Wissensvermittlung. Beide Perspektiven greifen zu kurz und verkennen die Komplexität und Professionalität, die pädagogisches Handeln erfordert.
Eine treffendere und für die professionelle Reflexion fruchtbarere Metapher ist die der „Bildungsarbeit als Handwerk“. Diese Analogie rückt die erlernbaren Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen, die Bedeutung der Erfahrung und den Anspruch an Qualität in den Mittelpunkt. Sie dient als einfaches Modell, um zu verstehen, was gute Bildungsarbeit ausmacht und wie sie gefördert werden kann.
Die Basis: Erlernbares Rüstzeug und didaktisch-methodische Werkstatt
Jedes Handwerk basiert auf einem breiten Fundament aus Techniken, Methoden, Verfahren, Werkzeugkenntnis und Materialwissen. Eine Tischlerin muss die Eigenschaften verschiedener Hölzer kennen und eine Vielzahl von Werkzeugen, von der Handsäge bis zur CNC-Fräse, bedienen können. In der Bildungsarbeit entspricht dieses Fundament dem methodisch-didaktischen Repertoire. Es handelt sich dabei nicht um eine Sammlung beliebiger "Tricks", sondern um wissenschaftlich fundierte und in der Praxis erprobte Verfahren, Methoden und Techniken.
Dazu gehören (neben vielen anderen) beispielsweise:
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Didaktische Reduktion: Die Kompetenz, komplexe Sachverhalte auf ihren Kern zu reduzieren und für eine spezifische Zielgruppe verständlich und zugänglich aufzubereiten.
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Methodenvariabilität: Die Kenntnis und der situativ angemessene Einsatz verschiedener Lehr-Lern-Formate, von kooperativen Lernformen über projektbasiertes Arbeiten bis hin zum
gezielten Einsatz digitaler Medien.
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Gesprächs- und Moderationstechniken: Die Kompetenz, Gespräche, Diskussionen und Gruppen zu leiten, Lernprozesse durch gezielte Fragen anzustoßen (z.B. sokratische Methode) Feedback
konstruktiv zu formulieren und Reflexion zu steuern.
- Diagnostische Instrumente: Die Kompetenz, den Lernstand, die Potenziale und die Schwierigkeiten von Lernenden zu erfassen, um den Lehrprozess entsprechend anpassen zu können.
Diese "Werkzeuge" werden in der Aus-, Fort- und Weiterbildung erlernt und müssen, wie im Handwerk, stetig geübt und laufend verfeinert werden. Ein gut ausgestattetes Lager "methodischer Werkzeuge" ist eine wichtige Grundvoraussetzung für professionelles pädagogisches Handeln.
Meisterinnen- und Meisterleistung: Erfahrungswissen und der pädagogische Takt
Ein weiteres entscheidendes Merkmal, das eine Meisterin oder einen Meister im Handwerk auszeichnet, ist das über Jahre erworbene Erfahrungswissen. Es manifestiert sich in einer tiefen Vertrautheit mit dem Material, in einer intuitiven Sicherheit bei der Ausführung und in der Kompetenz, auf unvorhergesehene Herausforderungen flexibel zu reagieren.
In der Pädagogik findet das seine Entsprechung im Konzept des "pädagogischen Takts". Dieser Begriff beschreibt die Kompetenz von Lehrpersonen, in der Unmittelbarkeit der sozialen Interaktion des Unterrichts schnell, situationsangemessen und pädagogisch sensibel zu handeln. Es ist die Kompetenz, die Atmosphäre in einer Lerngruppe zu "lesen", den richtigen Moment für einen Input oder eine Intervention zu erkennen oder bewusst auf eine geplante Aktivität zu verzichten, weil eine unerwartete Lerngelegenheit entstanden ist.
Dieses implizite Wissen entsteht über die Reflexion unzähliger erlebter Situationen. Eine Berufsanfängerin oder ein Berufsanfänger mag sich noch strikt an einen detaillierten Stundenplan klammern, während eine erfahrene Fachkraft denselben Plan als flexible Orientierung nutzt und ihn souverän an die dynamischen Erfordernisse der Gruppe anpasst. Diese durch Erfahrung geschulte Intuition ist kein Mysterium, sondern das Ergebnis eines langen Professionalisierungsprozesses, die wahre Meisterschaft des pädagogischen Handwerks.
Unikat im Fokus: Individualisierung als Kern des Handwerks
Ein zentraler Unterschied zwischen industrieller Massenfertigung und Handwerk liegt im Umgang mit dem "Material". Während die Industrie auf Standardisierung setzt, ehrt und pflegt das Handwerk die Einzigartigkeit jedes Werkstücks.
In der Bildungsarbeit ist dieser Aspekt von fundamentaler Bedeutung. Die "Werkstücke" sind die Lernenden, Individuen mit einzigartigen Vorerfahrungen, Begabungen, Interessen und Lernwegen. Die Metapher des Handwerks stellt sich damit entschieden gegen ein "One-size-fits-all"-Modell von Bildung. Sie fordert eine Kultur der Individualisierung und Differenzierung.
Professionelle pädagogische Arbeit bedeutet, die Heterogenität einer Lerngruppe nicht als Störung, sondern als Normalfall und Potenzial zu begreifen. Die handwerkliche Kunst besteht darin, Lernangebote so zu gestalten, dass sie unterschiedliche Zugänge ermöglichen (Binnendifferenzierung), individuelle Lernfortschritte sichtbar machen und sowohl unterstützende als auch herausfordernde Aufgaben für alle bereithalten. Es geht darum, das einzelne Individuum in seiner Entwicklung zu begleiten, anstatt alle Lernenden über den gleichen standardisierten Kamm zu scheren.
Qualität und Nachhaltigkeit: Das "gelungene Werk" der Bildung
Im Handwerk wird der Wert eines Produkts nicht nur an seiner Funktionalität, sondern auch an seiner Langlebigkeit, seiner Verarbeitung und seiner Ästhetik gemessen. Es geht um die Herstellung eines "gelungenen Werks". Übersetzt auf die Bildungsarbeit bedeutet das, dass der Erfolg nicht allein an kurzfristig abfragbaren Testergebnissen gemessen werden kann.
Das "gelungene Werk" der Bildung ist von Nachhaltigkeit geprägt. Es zeigt sich in:
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tiefem Verständnis: Lernende haben nicht nur Fakten erworben bzw. sich angeeignet, sondern Konzepte verstanden und können diese in neuen Kontexten eigenständig anwenden.
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Fertigkeits- und Kompetenzerwerb: Sie haben neben Kenntnissen überfachliche Kompetenzen wie Kreativität, kritisches Denken, Problemlöse- und Kollaborationskompetenz entwickelt.
- Persönlichkeitsentwicklung: Sie haben an Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit gewonnen, eine positive Haltung zum lebenslangen Lernen entwickelt und vor allem die Kompetenz zur kritischen Selbstreflexion gestärkt.
Der handwerkliche Ethos impliziert einen hohen Qualitätsanspruch an den eigenen Arbeitsprozess und dessen Ergebnis. Es geht nicht darum, einen Lehrplan schnell "abzuarbeiten", sondern darum, Lernprozesse zu gestalten und zu begleiten, die eine dauerhafte und bedeutungsvolle Wirkung auf die Lernenden haben.
Abgrenzung: Handwerk zwischen romantischer Kunst und kühler Technokratie
Die Metapher des Handwerks ist auch deshalb so passend, weil sie sich von zwei irreführenden Gegenpolen abgrenzt.
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Gegen das Bild des "Künstlers bzw. der Künstlerin": Die Vorstellung von Lehrpersonen als Genie oder Kunstschaffende romantisiert die Tätigkeit und rückt sie in die Nähe des
Unerlernbaren und rein Intuitiven. Das Handwerk hingegen betont, dass die Basis professionellen Handelns erlernbar, trainierbar und durch disziplinierte Praxis zu vervollkommnen ist.
- Gegen das Bild des "Technokraten": Die technokratische Sicht reduziert Bildung auf standardisierte Prozesse, messbare Outputs und die Anwendung von vorgefertigten Programmen. Das Handwerk hält dem die unersetzliche Bedeutung des menschlichen Faktors, des professionellen Urteilsvermögens und der kreativen Problemlösung im konkreten Moment entgegen. Es verteidigt die Autonomie der Fachkräfte gegenüber einer reinen Ausführungslogik.
Fazit: Ein Plädoyer für eine geerdete Professionalität
Die Betrachtung von Bildungsarbeit als Handwerk ist mehr als bloß eine Stilfigur. Sie ist ein konzeptioneller Rahmen, der die Essenz pädagogischer Professionalität erfasst. Dieser Zugang betont, dass wirksames Lehren und Lernen auf einem Fundament aus erlernbarem Wissen und Können ruht, durch Erfahrung zu Meisterschaft reift und sich in der individuellen Zuwendung zum lernenden Subjekt vollendet. In einer Zeit, die von Standardisierung und Technologisierung geprägt ist, erinnert diese Metapher daran, dass Bildung im Kern ein zutiefst menschlicher, interaktiver und schöpferischer Prozess ist, der qualifizierte, reflektierte und engagierte "Handwerkerinnen und Handwerker" erfordert.
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