Jenseits des Mittelmaßes

Differenzierung als Schlüssel

Vermeidung von Unter- und Überforderung in heterogenen Lerngruppen

Die Erwachsenenbildung ist immer schon mit einer fundamentalen Herausforderung konfrontiert: der Heterogenität der Teilnehmenden. In kaum einem anderen Bildungssektor treffen derart unterschiedliche Ausgangslagen, Lernbiografien, Vorkenntnisse, Lerngeschwindigkeiten, berufliche Hintergründe und individuelle Motive und Motivationen aufeinander.

 

In jedem Fall zum Scheitern verurteilt ist ein traditioneller, linearer Lehransatz, der versucht, diese Vielfalt auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Alle Versuche, ein Seminar, ein Training oder einen Workshop zu konzipieren, das für alle Teilnehmenden gleichermaßen passt, münden unweigerlich in einem schlechten Kompromiss, einer didaktischen Mitte, die für keinen und keine Beteiligte optimal ist. D. h., für die leistungsstärkeren Teilnehmenden führt das rasch zu Langeweile und Unterforderung, während leistungsschwächere Teilnehmende leicht den Anschluss verlieren und von Überforderung und Frustration gelähmt werden. In beiden Fällen bleibt der gewünschte Lern-, Übungs- oder Trainingseffekt aus.

 

Ein moderner und wirksamer Ansatz muss daher das Paradigma des "One-Size-Fits-All" überwinden. Es geht nicht darum, die eine perfekte Aufgabe zu finden, sondern darum, Lernumgebungen zu gestalten, die von Grund auf flexibel sind und Differenzierung nicht als Schwierigkeit oder Problem, sondern als integralen Bestandteil des Vermittlungskonzepts begreifen. Der Schlüssel liegt in der Schaffung von Aufgabenarchitekturen, die individuelle Lernwege ermöglichen, anstatt alle auf denselben Pfad zu zwingen.

 

Binnendifferenzierung als Lösungsansatz: Aufgaben mit variablen Anforderungsniveaus

 

Die effektivste Strategie zur Bewältigung von Heterogenität ist die sogenannte Binnendifferenzierung. Dabei wird ein gemeinsamer Lerngegenstand durch Aufgaben erschlossen, die auf unterschiedlichen Niveaus bearbeitet werden können oder von Grund aus verschiedene Lösungswege und -tiefen zulassen.

 

1. Aufgaben mit gestuften Hilfen (Scaffolding): Das Grundprinzip besteht darin, eine komplexe Kernaufgabe zu stellen und ein unterstützendes "Gerüst" (Scaffold) anzubieten, das je nach individuellem Bedarf von den Lernenden genutzt werden kann. Dieses Gerüst kann aus verschiedenen Elementen bestehen (vertiefte Recherche dazu lohnt sich: Lew Semjonowitsch Wygotski, Jerome Bruner, David Wood und Gail Ross):

  • Informationstexte oder -karten bzw. Hörbeiträge: Diese bieten gezielte Hinweise, Definitionen, Inputs oder Beschreibungen.

  • Strukturierungshilfen: Dabei handelt es sich um vorformatierte Checklisten bzw. Gliederungsvorlagen, die den Er- und Bearbeitungsprozess lenken und steuern.

  • Lösungsbeispiele: Hier werden bspw. ausgearbeitete Musterlösungen für vergleichbare Probleme angeboten, die als Orientierung dienen.

  • Expertinnen- und Experten-Ressourcen: Damit sind Verweise auf weiterführende Literatur, Fachartikel oder interne Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner gemeint, genauso wie z. B. leistungsstarke Teilnehmende, die Aufgabe autonom bearbeiten, während andere sich die benötigte Unterstützung abrufen können, um die Herausforderung erfolgreich zu meistern.

2. Aufgaben mit natürlicher Differenzierung: Das sind offene, komplexe Problemstellungen, die per se eine Bearbeitung auf unterschiedlichen Komplexitätsstufen vorgesehen haben. Der Auftrag ist zwar für alle identisch, aber das Ergebnis variiert qualitativ und quantitativ. Ein typisches Beispiel ist eine anspruchsvolle Fallstudie oder ein Projektauftrag.

  • Beispiel Projektauftrag: „Entwickeln Sie eine Marketingstrategie für ein fiktives Produkt, um die Zielgruppe der 20- bis 30-Jährigen zu erreichen.“
    • Einsteigerinnen- und Einsteiger-Niveau: Erstellung eines einfachen Konzepts mit Slogan und einer Anzeigenidee.
    • Fortgeschrittenen-Niveau: Ausarbeitung einer Multi-Channel-Kampagne inklusive Social-Media-Plan und Content-Ideen.
    • Expertinnen- und Experten-Niveau: eine vollständige Strategie mit Budgetplanung, KPI-Definition, Risikoanalyse und einer Präsentation der Ergebnisse.

3. Vertiefungs- und Transferaufgaben: Für besonders schnelle oder leistungsstarke Lernende müssen zu jeder Zeit anspruchsvolle Zusatzaufgaben bereitstehen. Wichtig ist dabei, dass es sich nicht um „mehr vom Gleichen“ handelt. Effektive Zusatzaufgaben fordern einen Transfer des Gelernten auf neue Kontexte, eine spezifische kritische Reflexion der angewandten Methode oder die Analyse eines zugrundeliegenden theoretischen Modells.

 

Didaktische Vielfalt: Der Einsatz flexibler Methoden und Sozialformen

Grundsätzlich verstärkt ein monotones didaktisches Design die Problematik von Unter- und Überforderung. Erst die sinnvolle Variation von Lehrmethoden und Sozialformen schafft ein flexibles Lernumfeld, in dem Teilnehmende ihre Stärken gezielt einsetzen können.

  • Wahlmöglichkeiten bei Sozialformen: Die Option, eine Aufgabe in Einzel-, Partnerinnen- bzw. Partner- oder Gruppenarbeit zu lösen, ermöglicht es den Lernenden, die für sie passende Struktur zu wählen. In heterogen zusammengesetzten Kleingruppen findet oft ein natürlicher Prozess des Peer-Tutorings statt, bei dem stärkere Teilnehmende ihr Wissen und ihre Erfahrung durch Erklären festigen und schwächere gezielte Hilfe erhalten.

  • Lernstationen (Lernzirkel): Eine andere Möglichkeit ist, dass an verschiedenen Stationen im Seminarraum unterschiedliche Aspekte eines Themas mit variierenden Aufgabenformaten oder Schwierigkeitsgraden angeboten werden. Dabei können Teilnehmende entweder einen festen Erarbeitungsparcours durchlaufen oder basierend auf Interesse und/oder Selbsteinschätzung gezielt jene Stationen ansteuern, die für ihren Lernprozess den größten Nutzen versprechen.

  • Gruppenpuzzle (Jigsaw-Methode): Diese kooperative Methode teilt ein zu bearbeitendes Gesamtthema in Teilbereiche auf. Alle Teilnehmenden werden zunächst in einer „Expertinnen- und Expertengruppe“ zu Spezialistinnen und Spezialisten für einen Bereich. Anschließend werden neue Gruppen gebildet, in denen jeweils eine Expertin bzw. ein Experte pro Teilbereich sitzt. Dort vermitteln sie ihr Wissen an die anderen Teilnehmenden. Diese Methode fordert alle Beteiligten auf hohem Niveau: die einen in der fachlichen Durchdringung, die anderen in der didaktischen Aufbereitung und Vermittlung.

Weg von Wissensabfragen hin zu Kompetenzentwicklung: Handlungsorientierung als Schlüssel

 

Der Fokus moderner Bildungskonzepte in der Erwachsenenbildung hat sich schon lange von der reinen kollektiven Wissensvermittlung hin zum individuellen Kenntnis- und Fertigkeitsaufbau sowie zur Entwicklung von Handlungskompetenz verschoben. Aufgabenstellungen, die hier zum Einsatz und zum Tragen kommen, sind dann in der Folge von Natur aus differenzierender, da sie nicht auf ein „Alle“ und ein singuläres „richtig“ oder „falsch“ abzielen.

 

·         Handlungsorientierte Aufträge: Statt Faktenwissen anzubieten und abzufragen, verlangen diese Aufgaben die Anwendung von Wissen und Fertigkeiten sowie Kompetenz in realitätsnahen Szenarien. In einer Simulation, beispielsweise einem Verkaufsgespräch oder einer Konfliktmoderation, agieren die Teilnehmenden auf ihrem jeweils maximalen Kompetenzniveau. Die Prozessbeobachtung und anschließende Reflexion sowie das Feedback konzentrieren sich auf den Prozess, den Status und die individuelle Weiterentwicklung, nicht auf eine Richtig-Falsch-Bewertung.

  • Portfolio-Arbeit: Bei dieser Methode dokumentieren die Lernenden über einen längeren Zeitraum den individuellen Lernfortschritt anhand selbst gewählter „Beweisstücke“ (z. B. bearbeitete Fallstudien, entworfene Konzepte oder Reflexionsberichte von durchgeführten Projekten). Dieser Ansatz fördert vor allem die Eigenverantwortung und, ganz wichtig, die metakognitive Kompetenz zur Reflexion des eigenen Lernprozesses. Jede und jeder Teilnehmende stellt ein Portfolio zusammen, das seinem bzw. ihrem individuellen Leistungsstand entspricht.

Die Rolle der Lehrperson im Wandel: Vom Instrukteur zum Lernbegleiter

 

Die erfolgreiche Implementierung einer differenzierenden Didaktik erfordert ein ge- und verändertes Selbstverständnis der Lehrpersonen. Die Rolle verändert sich von den zentralen Wissensvermittelnden („Sage on the Stage“, Erzählung von der Bühne) zu Begleitenden, Moderierenden und Anbietenden von unterschiedlichen Lernprozessen („Guide on the Side“).

  • Diagnostische Kompetenz: Eine zentrale Kompetenz ist die kontinuierliche, informelle Diagnose des Lernstands der Gruppe bzw. der einzelnen Lernenden. Anhand laufender Beobachtung, begleitender offener Fragen während des Vermittlungs- und Lernprozesses und kleiner Entwicklungsgespräche zwischendurch, genauso wie anhand von regelmäßigen kurzen Selbsteinschätzungsrunden, gewinnt die Lehrperson ein klares Bild von den unterschiedlichen Lagen und Bedürfnissen. Darauf aufbauen kann sie die Lernangebote entsprechend situativ-dynamisch anpassen.

  • Etablierung einer positiven Fehlerkultur: Eine Lernumgebung, in der Fehler als notwendige und willkommene Schritte im Lernprozess verstanden werden, ist essenziell. Als Ergebnis nimmt diese Kultur vor allem von leistungsschwächeren Teilnehmenden den Druck und ermutigt gleichzeitig leistungsstärkere, neue und auch risikoreichere Lösungswege zu erproben.

  • Transparenz und Erwartungsmanagement: Die offene Kommunikation über die Heterogenität der Gruppe und die Begründung für differenzierte Aufgabenstellungen schaffen schließlich Akzeptanz und motivieren die Lernenden, die für sie passende Herausforderung selbstständig zu wählen.

Fazit: Der "Wahl-Raum" als Alternative zur strengen Mitte 

 

Die Lösung für das Dilemma von Unter- und Überforderung liegt nicht in der Nivellierung von Anforderungen in der Mitte, sondern in der Schaffung eines didaktischen „Wahl-Raums“. Statt eines einzigen Weges wird eine Lernlandschaft mit unterschiedlichen Wegen, Abzweigungen und Hilfsangeboten geschaffen. Alle Teilnehmenden arbeiten auf ein gemeinsames, übergeordnetes Lernziel hin, können ihren Weg dorthin aber individuell gestalten. Dieser Ansatz erfordert zwar einen höheren konzeptionellen Aufwand in der Vorbereitung, zieht jedoch eine signifikant höhere Lernmotivation, ein tieferes Verständnis und einen nachhaltigeren Kompetenzerwerb für das gesamte Spektrum der Teilnehmenden nach sich. Er ist die notwendige Antwort auf die Realität heterogener Lerngruppen und ein Kennzeichen professioneller Bildungsarbeit im 21. Jahrhundert. 

 

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HINWEIS: Für die sprachliche Glättung und stilistische Vereinfachung dieses Beitrags wurden KI-basierte Tools (ChatGPT 5, Gemini 2.5 Pro, Copilot) unterstützend eingesetzt. Alle inhaltlichen Aussagen, Studienverweise und Schlussfolgerungen wurden von dem Autor und der Autorin ausgewählt, geprüft und verantwortet. Die KI hatte keine Rolle bei der inhaltlichen Generierung oder Bewertung der Forschungslage.


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