Einsatz von Warmups und Energizern

Die verborgene Pädagogik

Zwischen defizitorientierter Animation und ressourcenorientierter Lernprozessgestaltung

Methoden wie Warmups, Eisbrecher oder Energizer sind zu einem omnipräsenten Bestandteil von Seminaren, Workshops und Trainings und zunehmend auch von anderen Bildungsformaten in der Jugend- und Erwachsenenbildung geworden. Ihr Einsatz wird oft als selbstverständliches Merkmal einer modernen, teilnehmerorientierten Didaktik betrachtet. Doch hinter dieser scheinbar harmlosen Fassade von Aktivierung und Auflockerung verbergen sich tiefgreifende, oft unbewusste Annahmen über die Lernenden und den Lernprozess selbst.

 

Die kritische Auseinandersetzung mit dem Warum hinter diesen Methoden offenbart ein Spektrum an pädagogischen Haltungen, das von einem problematischen Defizitdenken bis zu einem hochprofessionellen, holistischen Verständnis von Lernen reicht. Eine genaue Betrachtung der zugrundeliegenden Logik erlaubt Rückschlüsse auf das Menschenbild, das die pädagogische Praxis leitet.

 

Die kompensatorische Logik: Die Lernenden als passiver Konsumentinnen und Konsumenten

 

Die wohl verbreitetste, aber auch problematischste Begründung für den Einsatz aktivierender Methoden ist die kompensatorische. Bei dieser Verwendung dienen die Interventionen lediglich dazu, ein vermeintliches Manko auszugleichen: die angenommene Passivität und mangelnde Motivation der Lernenden oder die vermeintliche Trockenheit des Lernstoffs. Das implizite Bild ist das eines lernunwilligen Subjekts, das von außen durch unterhaltsame Reize zum Lernen animiert und angetrieben werden muss. Der Lerninhalt allein, so hier die Annahme, besitzt nicht genügend Anziehungskraft, um Neugier, Motivation und Engagement zu erzeugen.

Diese Haltung wurzelt in einem behavioristischen Lernverständnis, das Lernen als eine Reaktion auf externe Stimuli begreift. Die Lehrenden sehen sich in der Rolle von Animateurinnen und Animateuren, die für eine positive Stimmung sorgen müssen, damit der Wissens- und Fertigkeitstransfer überhaupt stattfinden kann.

 

Phänomene wie bspw. das klassische „Mittagstief“ werden nicht als natürliche physiologische Gegebenheit verstanden, die eine bessere inhaltliche Rhythmisierung erfordern würde, sondern als einfaches Motivationsloch, das durch einen extrinsischen Impuls, bspw. den Energizer, gestopft werden muss. Diese Logik führt zu einer Pädagogik des Misstrauens: Misstrauen gegenüber der intrinsischen Neugier der Lernenden und Misstrauen gegenüber der Faszinationskraft des eigenen Fachthemas. Lernen wird zu „Edutainment“, bei dem die methodische Fassade wichtiger wird als die inhaltliche Substanz.

 

Die sozio-dynamische Logik: Die Lernenden als soziale Wesen

 

Eine differenziertere Perspektive betrachtet die Lernenden als soziale Wesen. Aus dieser Sicht sind Warmups und Eisbrecher keine Motivations-Tricks, sondern Werkzeuge zur Gestaltung des sozialen Rahmens, in dem Lernen stattfindet. Diese sozio-dynamische Logik erkennt an, dass Lernen ein sozialer genauso wie ein emotionaler Prozess ist. Intellektuelle Risikobereitschaft, die Kompetenz, kritische Fragen zu stellen, Hypothesen zu äußern und Lücken und Fehler offen einzugeben, ist immer an eine Atmosphäre von Vertrauen und psychologischer Sicherheit gebunden.

 

Methoden, die dem Kennenlernen und dem Aufbau einer konstruktiven Gruppenatmosphäre dienen, sind nicht bloß Selbstzweck, sondern eine gezielte Investition in die Arbeitsfähigkeit der einzelnen Lernenden und der Gruppe. Die traditionelle Begründung von Eisbrechern durch bspw. Tuckmans Phasenmodell greift heute fachlich zu kurz, da sie der fluiden und oft nur temporären Natur moderner Lerngruppen nicht gerecht wird. Ein präziserer Bezugspunkt ist das Konzept der psychologischen Sicherheit, also der gemeinsamen Überzeugung, dass es sicher ist, sich mit Ideen, Vorschlägen und Fragen einzubringen. Ein Eisbrecher ist aus dieser Perspektive eine gezielte Intervention, um diese sichere Kommunikationsbasis für die unmittelbare Zusammenarbeit zu schaffen, anstatt einen langfristigen Entwicklungsprozess zu moderieren. Das dahinterstehende Bild ist das der professionellen Akteurinnen und Akteure in einem temporären System, das eine verlässliche Grundlage benötigt, um sein volles Kooperationspotenzial entfalten zu können.

 

Das Bild von Lernenden ist in dieser Perspektive nicht defizitär, sondern relational: Ihr Lernpotenzial entfaltet sich erst in einem unterstützenden sozialen Kontext. Dennoch greift auch diese Perspektive zu kurz, wenn sie den Fokus primär auf die Gruppe legt und den individuellen Lernakt vernachlässigt.

 

Die individual-zentrierte Logik: Der Lernende als verkörpertes und autonomes Subjekt

 

Eine fachlich tiefere Begründung löst sich von der Gruppe und stellt das Individuum ins Zentrum. Sie gegliedert sich in zwei wesentliche Stränge.

 

1. Die neuro-physiologische Perspektive - Die verkörperten Lernenden: Diese Sichtweise basiert auf Erkenntnissen der Neurowissenschaften und der Embodied-Cognition-Forschung*. Sie betrachtet die Lernenden als integrierte biologische Systeme, deren kognitive Leistungskapazität untrennbar mit ihrem körperlichen Zustand verknüpft ist. Konzentration, Kreativität und Gedächtnis sind demnach keine rein mentalen Akte, sondern an physiologische Prozesse gebunden.

 

Aus dieser Perspektive ist ein Energizer nicht bloß eine Auflockerung, sondern eine gezielte neurobiologische Intervention. Lange Phasen konzentrierter geistiger Arbeit führen zu einer Ermüdung des präfrontalen Kortex und einer Abnahme der Sauerstoffsättigung im Gehirn. Eine kurze (ob angeleitet oder selbstorganisiert, ist hier egal) strukturierte Bewegungssequenz steigert die Durchblutung, optimiert die Versorgung mit Sauerstoff und Neurotransmittern und reduziert Stresshormone. Sie dient also der Wiederherstellung einer möglichst optimalen kognitiven Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden. Das Bild der Lernenden ist hier das eines "Embodied Mind"** (verkörperter Geist). Dieser Ansatz betrachtet das Gehirn und den Körper als funktionale Einheit und zielt darauf ab, die biologischen Lernvoraussetzungen des Menschen aktiv zu gestalten. 

 

2. Die intra-personale Perspektive - Die sich selbst steuernden Lernenden: Dieser Ansatz fokussiert explizit die Innenwelt der Lernenden. Er basiert auf Theorien der Metakognition und der Andragogik, welche die Bedeutung von Selbststeuerung und der persönlichen Relevanz betonen. Das implizite Bild dabei ist das von autonomen Subjekte, die Lerninhalte aktiv (bewusst und/oder unbewusst) mit der eigenen Biografie und den kognitiven Grundlagen, den eigenen Zielen und Fragen verknüpfen.

 

Ein Warmup könnte in diesem Sinne als Werkzeug zur individuellen bzw. gemeinsamen Fokussierung dienen. Eine kurze stille Reflexionsaufgabe zu Beginn, bei der die Lernenden persönliche Erwartungen und Fragen notieren, schafft eine Brücke zwischen dem externen Thema und der internen Welt der Lernenden. Das aktiviert persönliche Lernziele spricht individuelle Motive an und steigert die intrinsische Motivation, noch bevor eine Interaktion in der Gruppe stattfindet. Die Methode dient hier vor allem der Moderation des inneren Dialogs und unterstützt die Einzelnen dabei, mental im Lernprozess „anzukommen“ und eine bewusste und aktive Lernhaltung einzunehmen.

 

Die kognitiv-konstruktivistische Logik: Die Lernenden als aktive Konstrukteurinnen und Konstrukteure

 

Die didaktisch anspruchsvollste Begründung verortet die Methoden (Warmups, Eisbrecher oder Energizer) direkt im Kern des kognitiven Lernprozesses. Entsprechend dem konstruktivistischen Paradigma sind Wissen und daraus abgeleitete Fertigkeit und Kompetenz nichts, was passiv empfangen wird, sondern etwas, das aktiv von den Lernenden auf Basis von Vorwissen eigenständig konstruiert und erzeugt wird.

 

In dieser Logik sind Warmups und andere aktivierende Methoden keine vorgeschalteten Spielereien, sondern der erste, integrale Schritt des Wissensaufbaus. Sie fungieren als „Advance Organizer“***, die eine kognitive Brücke vom bekannten zum neuen Wissen schlagen. Eine Methode, bei der die Teilnehmenden z. B. zu Beginn ihre bisherigen Erfahrungen mit einem Thema visualisieren, ist dabei keine Auflockerung, sondern eine entscheidende Phase der Vorwissensaktivierung. Sie macht bestehende mentale Modelle (und ihre Lücken) sichtbar und schafft Anknüpfungspunkte, an denen neue Informationen andocken können. Die Lehrenden gewinnen dabei zudem wertvolle diagnostische Informationen über den jeweiligen Kenntnis- bzw. Fertigkeitsstand der einzelnen Personen und der Gruppe. Das hier die Lehre tragende Bild ist das der kompetenten Lernenden, die als Expertinnen und Experten ihrer eigenen Erfahrungswelt ernst genommen werden und deren Wissens- und Fertigkeitsbasis als notwendige und wertvollste Ressource im Lernprozess genutzt wird.

 

Fazit

 

Der routinemäßige Einsatz von Warmups, Eisbrechern und Energizern lässt per se keinen eindeutigen Schluss auf das zugrundeliegende Bild vom Lernenden zu. Die pädagogische Qualität und die dahinterstehende Haltung offenbaren sich erst in der Begründung. Während eine kompensatorische Logik auf ein defizitorientiertes Bild der passiven Konsumentinnen und Konsumenten hindeutet, zeugt ein funktional begründeter Einsatz von einem hohen Grad an Professionalität.

 

Ein moderner, ressourcenorientierter Ansatz nutzt diese Methoden gezielt, um die komplexen Dimensionen des Lernens zu gestalten: die soziale, die physiologische, die intrapersonale und die kognitive. Dieser Ansatz erkennt an, dass Lernen die Schaffung eines sicheren sozialen Raumes, die Berücksichtigung neurobiologischer Gegebenheiten, die Förderung individueller Selbststeuerung und die aktive Anknüpfung an bestehendes Wissen erfordert. Die entscheidende Frage für Lehrende ist daher nicht, ob sie aktivierende Methoden einsetzen, sondern warum und dabei mit der Frage „Welche spezifische lernförderliche Bedingung soll damit für die einzelnen Personen und die Gruppe im geistigen Lernraum geschaffen werden?“

  • * Die Embodied-Cognition-Forschung untersucht, wie der Körper das Denken beeinflusst. Sie geht davon aus, dass kognitive Prozesse wie Lernen und Verstehen nicht nur im Gehirn stattfinden, sondern stark vom Körper, der Wahrnehmung und Bewegungen geprägt werden. Wissen basiert also auch auf körperlichen Erfahrungen und nicht bloß auf abstrakten Ideen und Konzepten.

  • ** "Embodied Mind" (verkörperter Geist) ist ein kognitionswissenschaftliches Konzept, das die enge Verbindung zwischen Körper, Geist und Umwelt hervorhebt. Es geht zentral davon aus, dass das menschliche Denken, Erleben und Verstehen der Welt tiefgreifend von den körperlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Handlungen geprägt ist (verkörperte Kognition). 

  • *** Advance-Organizer sind (pädagogische) Hilfsmittel, welche die Lücke zwischen dem, was die Lernenden bereits wissen und können, und dem, was sie wissen und können müssen, überbrücken. Das sind bspw. Mindmaps, Vorlagen wie Venn-Diagramme (zum Vergleichen), Flussdiagramme (für Prozesse) oder Storyboards (für Erzählungen), Lernposter, Infografiken, Modelle und Simulationen, Szenarien-Arbeit, Gruppenpuzzle oder Zeitstrahlen, die historische Ereignisse ordnen und so die Lücke zwischen einzelnen Fakten und dem Verständnis für chronologische Zusammenhänge schließen.

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