
Zwischen Präsenz und Digitalität
Lernkultur im Wandel der Erwachsenenbildung
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Die Gruppendynamik, das unsichtbare und geheimnisvolle Netzwerk aus Beziehungen, Rollen und Normen, ist, so zumindest finden die Befürworterinnen und Befürworter des Ansatzes, das Herzstück jedes erfolgreichen Seminars in der Erwachsenenbildung. Sie sind es auch, die Laut feststellen, dass sie über den Lernerfolg, die Motivation und den Praxistransfer entscheidet.
In den vergangenen 50 Jahren hat sich das Gefüge dieser Dynamik jedoch radikal verändert. Der Wandel von rein analogen Präsenzformaten hin zu digitalen und hybriden Lernwelten hat die Grundpfeiler der menschlichen Interaktion im Lernkontext neu definiert. Eine Analyse dieser Entwicklung offenbart tiefgreifende Veränderungen in Kommunikation, Hierarchiebildung und sozialem Zusammenhalt.
Die Ära der Präsenz: Der Seminarraum als sozialer Resonanzkörper (ca. 1970er - 1990er Jahre)
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Erwachsenenbildung untrennbar mit dem physischen Seminar-, Trainings- und Workshopraum verbunden. Dieser Raum war mehr als nur ein Ort der Wissens- und Fertigkeitsvermittlung; er war ein sozialer Mikrokosmos, ein Resonanzkörper, in dem gruppendynamische Prozesse unmittelbar wirkten und erlebbar wurden. Die theoretische Fundierung dazu lieferten Konzepte aus der Sozialpsychologie, wie Kurt Lewins Feldtheorie oder Bruce Tuckmans Phasenmodell der Gruppenentwicklung (Forming, Storming, Norming, Performing), die heute noch relevant sind.
Kommunikation und Beziehungsaufbau
Die Kommunikation erfolgte face-to-face und war entsprechend angefüllt mit nonverbalen Signalen. Mimik, Gestik, Körperhaltung und paraverbale Elemente wie Tonfall oder Sprechtempo lieferten kontinuierlich Informationen über die Absichten und Emotionen der Interaktionspartnerinnen und Interaktionspartner. Diese Vielfalt an Signalen ermöglichte, wenn genau beobachtet wurde, einen schnellen und intuitiven Aufbau von Vertrauen und sozialer Nähe, die Basis für eine offene Lernatmosphäre. Zudem waren informelle Interaktionen in Kaffeepausen oder beim gemeinsamen Mittagessen essenziell für den „sozialen Kitt“ der Gruppe. Hier wurden im Stillen Hierarchien verhandelt, Unterschiede und Abgrenzungen kultiviert, Allianzen geschmiedet und Konflikte auf einer persönlichen Ebene ausgehandelt.
Methoden und die Rolle der Lehrenden
Pädagogische Ansätze wie bspw. die Themenzentrierte Interaktion (TZI) nach Ruth Cohn lieferten eine Methodik und prägten den Umgang mit gruppendynamischen Phänomenen. Mit ihrem Postulat „Störungen haben Vorrang“ wurde der gruppendynamische Prozess explizit zum Teil des Lerninhalts gemacht. Methoden wie das Psychodrama, Rollenspiele oder moderierte Gruppendiskussionen dienten fortan nicht nur der Wissens- und Fertigkeitsaneignung, sondern auch der Selbsterfahrung und der Reflexion des eigenen Verhaltens in der Gruppe. Die Lehrenden (damals als „Dozentinnen und Dozenten“ bzw. „Gruppenleitende“ bezeichnet) fungierten als anleitende Autoritäten, aber auch als empathische Moderierende. Ihre Aufgabe war es, den Rahmen aufzuspannen, den Prozess zu steuern und bei Schwierigkeiten und Konflikten zu intervenieren. Die Hierarchie war klar, aber das Ziel war nicht immer die „Ermächtigung“ der Teilnehmenden.
Raum und Struktur
Der physische Raum selbst (»die sogenannte dritte pädagogische Kraft«) spielte eine entscheidende Rolle. Die Anordnung der Stühle, vom frontalen Unterrichts-Setting bis zum Sesselkreis, symbolisierte und beeinflusste die Kommunikationsstruktur genauso wie die Hierarchie in der Gruppe. So signalisierte z. B. ein Sesselkreis Gleichberechtigung und lud zum Dialog ein, während eine frontale Ausrichtung die Expertinnen- und Expertenrolle der Lehrperson unterstrichen hat. Die Dynamik in der Gruppe war somit an einen konkreten, gestaltbaren Ort gebunden.
Die digitale Zäsur: Der virtuelle Raum und seine neuen Gesetze (ca. 2000er bis heute)
Das Aufkommen des Internets und die zunehmend fortschreitende Digitalisierung haben die Landschaft der Erwachsenenbildung nachhaltig umgestaltet. Lernmanagementsysteme, Foren, Wikis und später Videokonferenztools haben neue Lernorte geschaffen, die von den Gesetzen der physischen Kopräsenz entkoppelt sind. Dieser Umstand führte zu einer fundamentalen Neuausrichtung gruppendynamischer Prozesse.
Entkörperlichte Kommunikation und soziale Präsenz
Die Kommunikation in virtuellen Räumen ist grundsätzlich anders. Sie ist asynchron (z. B. in Foren), was den Teilnehmenden z. B. mehr Zeit zur Reflexion und zur Formulierung ihrer Beiträge gibt. Gleichzeitig ist sie aber stark textbasiert und damit zu großen Teilen frei von nonverbalen Hinweisen. Das kann einerseits die Sachorientierung stärken und introvertierten Personen die Teilhabe erleichtern, andererseits birgt es aber auch die Gefahr von Missverständnissen und dem sogenannten „Online Disinhibition Effect“, bei dem die gefühlte Anonymität zu enthemmtem und leicht zu unsozialem Verhalten (ver-)führen kann.
Für eine erfolgreiche Online-Kollaboration ist die Herstellung von „Social Presence“ (schon in den 1970er Jahren entwickelt) entscheidend, das Gefühl, mit realen Personen in einer echten Gemeinschaft zu interagieren. Konzepte wie das „Community of Inquiry“-Framework (CoI) betonen, dass neben der kognitiven und der lehrenden Präsenz vor allem diese soziale Präsenz aktiv von der Moderation und den Teilnehmenden gestaltet werden muss. Das geschieht bspw. durch Vorstellungsrunden, den Einsatz von Avataren, informelle „virtuelle Kaffee- bzw. Teeküchen“ oder die bewusste Anregung und Förderung sozio-emotionaler Äußerungen.
Neue Rollen und Hierarchien
Die Rolle der Lehrpersonen wandelte sich vom „Sage on the Stage“ zum „Guide on the Side“. Sie werden zu Kuratorinnen und Kuratoren von Inhalten, zu Community-Managern und zu technischen Ansprechpartnerinnen und -anprechpartnern. Damit in Verbindung und gleichzeitig entstehen neue, informelle Hierarchien und Medienkompetenz wird zu einer wichtigen Schlüsselressource. Teilnehmende, die sich sicher in der digitalen Umgebung bewegen können, erlangen in der Regel einen höheren Status und mehr Einfluss, unabhängig von ihrem Fachwissen oder -können. Phänomene wie „Lurking“, das stille Mitlesen ohne aktive Beteiligung, stellen eine neue Form der Teilnahme dar, deren Einordnung in klassische Gruppendynamik-Modelle schwierig ist.
Herausforderungen und Potenziale
Der Aufbau von Gruppenzusammenhalt (Kohäsion) ist im virtuellen Raum eine der mit Sicherheit größten Herausforderungen. Ohne die zufälligen Begegnungen des physischen Raums muss ein Gemeinschaftsgefühl gezielt durch spezifische und strukturierte Aktivitäten hergestellt werden, etwa durch kollaborative Projekte in Breakout-Rooms oder gemeinsame Arbeiten an digitalen Whiteboards. Gleichzeitig aber bietet die Digitalisierung enorme Potenziale für Inklusion. D. h., dass geografische Aspekte weniger Rolle spielen, dass psychische und/oder körperliche Einschränkungen oder familiäre Verpflichtungen einen leichteren Zugang zu Bildung erhalten.
Synthese und Ausblick: Die hybride Zukunft der Gruppendynamik
Der Vergleich der beiden Zeiträume zeigt keinen einfachen „Fortschritt“, sondern eine Verschiebung der Schwerpunkte und Herausforderungen. Während in Präsenzseminaren die Hauptaufgabe darin bestand, die häufig unbewussten sozialen Prozesse zu moderieren und für den Lernprozess nutzbar zu machen, liegt die zentrale Aufgabe in Online- und Online-Live-Settings darin, soziale Präsenz und Vertrauen überhaupt erst zu konstruieren.
Die Zukunft der Erwachsenenbildung liegt aller Voraussicht nach in Blended-Learning-Formaten, welche die Stärken beider Welten intelligent kombinieren. Dort können asynchrone Online-Live-Phasen der Wissensaneignung und Reflexion dienen, während Präsenzphasen gezielt für intensive Gruppenarbeit, Rollenspiele und den Aufbau persönlicher Beziehungen genutzt werden. Die entscheidende Kompetenz für Lehrende und Teilnehmende wird darin bestehen, situationsadäquat zwischen den verschiedenen Modalitäten zu wechseln und die gruppendynamischen Prozesse über die Systemgrenzen hinweg kohärent zu gestalten und zu pflegen.
Die Gruppendynamik bleibt somit eine relevante Variable, doch ihr Management erfordert heute ein erweitertes Repertoire an technologischen, medienpädagogischen und vor allem sozial-kommunikativen Kompetenzen. Der Sesselkreis mag zwar durch den Breakout-Room ergänzt oder ersetzt worden sein, doch die dem Menschen typische Notwendigkeit von Zugehörigkeit, Anerkennung und gemeinsamem Lernen bleibt die konstante Kraft im Wandel der Zeit.
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