Inbrunst trifft Wiederstand
Psychologie defensiver Rhetorik
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
In Bildungs- und Fachkontexten sei es in Seminaren, Vorträgen oder Team-Meetings, ist ein Phänomen häufig zu beobachten: Eine Person trägt ein Thema mit außerordentlicher Leidenschaft und "voller Inbrunst" vor. Die Energie ist spürbar, das Engagement offensichtlich. Doch sobald aus dem Publikum eine kritische Nachfrage, ein Wunsch nach Präzisierung oder gar Widerspruch geäußert wird, kippt die Dynamik. Die Antwort des Vortragenden lautet wiederholt: "Das haben Sie falsch verstanden" oder "Das habe ich so nicht gemeint."
Dieses Muster ist mehr als nur ein unglückliches Missverständnis. Es ist eine spezifische kommunikative und psychodynamische Konstellation, die den fachlichen Diskurs blockiert. Eine sachlich-psychologische Analyse dieses Verhaltens offenbart komplexe Vorgänge im Spannungsfeld von Selbstbild, Kommunikation und Abwehrmechanismen.
Die "Inbrunst", wenn Emotion die Präzision überlagert
Die "Inbrunst", mit der ein Thema vorgetragen wird, ist zunächst ein Signal für eine hohe affektive Besetzung. Das Thema ist für die sprechende Person nicht neutral; es ist emotional aufgeladen. Diese Emotionalität kann mehrere Ursprünge haben, die sich oft überlagern.
Hohe Identifikation und Selbstwert: Oft ist das vorgetragene Thema eng mit dem Selbstbild oder den Grundüberzeugungen der Person verwoben. Es geht nicht mehr nur um die Vermittlung von Fakten, sondern um die Bestätigung einer Weltsicht, die als fundamentaler Teil der eigenen Identität empfunden wird. Die Person ist ihr Thema. Ein Vortrag wird so unbewusst zu einer Demonstration der eigenen Kompetenz und des eigenen Wertes.
Missionarisches Sendungsbewusstsein: Die emotionale Aufladung kann auch aus einem starken Sendungsbewusstsein resultieren. Die Person ist zutiefst überzeugt, einen exklusiven, besonders tiefen oder moralisch überlegenen Einblick in die Materie zu haben. Der Impuls ist nicht primär, zu informieren, sondern zu überzeugen oder gar zu bekehren. Das führt oft zu einer rhetorischen Strategie, die auf Emotionalisierung statt auf stringente, nachvollziehbare Argumentation setzt.
Kognitive Konsequenzen der Emotion: Aus kognitionspsychologischer Sicht hat starkes emotionales Involvement einen direkten Einfluss auf die Sprachproduktion. Wenn das limbische System (Sitz der Emotionen) hoch aktiviert ist, können die für Präzision und logische Strukturierung zuständigen präfrontalen Kortex Areale in ihrer Funktion beeinträchtigt werden. Einfach ausgedrückt: Die Person fühlt die Richtigkeit ihrer Aussage so stark, dass die exakte sprachliche Kodierung (die Wortwahl) sekundär wird. Für die sprechende Person ist die Intention klar; für das Publikum ist jedoch nur die unpräzise Aussage hörbar.
Die Abwehr: "Sie haben das falsch verstanden"
Die Reaktion auf Nachfragen ist der diagnostisch entscheidende Teil dieses Musters. Die Aussagen "Das haben Sie falsch verstanden" oder "Das habe ich so nicht gemeint" sind klassische Abwehrstrategien. Sie dienen nicht der Klärung, sondern dem Schutz.
Verschiebung der kommunikativen Verantwortung (Attribution): Kommunikation ist ein dyadischer Prozess. Ein Missverständnis kann definitionsgemäß nie nur bei einer Partei liegen. Es ist eine Diskrepanz zwischen dem, was gesendet, und dem, was empfangen wurde. Die Aussage "Sie haben das falsch verstanden" ist eine einseitige Externalisierung der Verantwortung. Sie impliziert: Die Sendenden (die sprechenden Personen) haben fehlerfrei kommuniziert; der Fehler muss bei den Empfangenden liegen (z.B. durch mangelnde Intelligenz, Voreingenommenheit oder böswillige Interpretation). Das kommunikationstheoretische Problem wird zu einem Defizit des Gegenübers umgedeutet.
Invalidierung und der Kampf um die Deutungshoheit: Diese Abwehrstrategie invalidiert (heißt, dass etwas ungültig gemacht, entwertet oder nicht anerkannt wird) die Wahrnehmung des Gegenübers. Den Fragenden wird abgesprochen, dass ihre Interpretation legitim oder auch nur möglich ist. Das ist ein subtiler, aber wirkungsvoller Mechanismus zur Aufrechterhaltung einer Machtasymmetrie. Die sprechende Person beansprucht die absolute Deutungshoheit darüber, was ihre Worte bedeuten, unabhängig davon, was objektiv gesagt wurde. Der Diskurs wird von der Sachebene auf eine Beziehungsebene verschoben, auf der es um Status geht: Wer hat das Recht zu definieren, was "richtig" verstanden wurde?
Schutz des Selbstbildes (Ego-Schutz): Eng verbunden mit der "Inbrunst" ist der Ego-Schutz. Wenn das Thema Teil der Identität ist, wird eine Kritik an der Sache als persönliche Kritik, als Angriff auf die eigene Kompetenz oder Integrität, erlebt. Das kann als narzisstische Kränkung wirken. Die Abwehr "Das habe ich so nicht gemeint" ist dann ein Versuch, das Idealbild des bzw. der kompetenten, konsistenten und unangreifbaren Experten respektive Expertin aufrechtzuerhalten. Es ist eine Form der retroaktiven Korrektur der Realität: Nicht die Aussage war fehlerhaft, sondern die Intention war eine andere, bspw. edlere.
Die Dynamik: Kognitive Dissonanz und blockierte Metakommunikation
Das Zusammentreffen von "Inbrunst" und "Abwehr" erzeugt eine spezifische Dynamik, die am besten durch das Konzept der kognitiven Dissonanz (nach Leon Festinger) erklärt werden kann.
Die Dissonanz des Experten: Die sprechenden Personen befinden sich in einem Zustand kognitiver Dissonanz. Sie halten zwei widersprüchliche Kognitionen (Gedanken/Überzeugungen) gleichzeitig:
- Kognition A (Selbstbild): "Ich bin Expertin bzw. Experte und präsentiere mein Thema leidenschaftlich, klar und überzeugend."
- Kognition B (Realität): "Eine Person im Publikum hat mich nicht verstanden oder widerspricht meinen Kernaussagen."
Dieser Widerspruch erzeugt eine unangenehme psychische Spannung. Um diese Spannung aufzulösen, muss entweder Kognition A oder Kognition B geändert werden.
Die maladaptive Auflösung: Eine adaptive (konstruktive) Auflösung wäre, Kognition A anzupassen: "Vielleicht war ich trotz meiner Leidenschaft an diesem Punkt unpräzise. Ich sollte es klären." Die defensive Auflösung (die hier beobachtet wird) besteht darin, Kognition B gewaltsam zu ändern: "Das Gegenüber hat nicht wirklich widersprochen oder nicht richtig zugehört. Der Fehler liegt bei der empfangenden Person." ("Sie haben das falsch verstanden.")
Die Energie der "Inbrunst" wird jetzt defensiv genutzt, um die Realität (Kognition B) abzuwehren und das Selbstbild (Kognition A) zu schützen.
Das Scheitern der Metakommunikation: Dieses Verhalten verhindert systematisch die Metakommunikation, also die Kompetenz, über die Art und Weise der Kommunikation zu sprechen. Eine konstruktive Klärung würde lauten: "Das ist ein interessanter Punkt. Lassen Sie uns klären, was genau Sie verstanden haben, damit wir die Diskrepanz finden." oder "Ich merke, ich habe mich vielleicht missverständlich ausgedrückt. Lassen Sie es mich anders formulieren."
Die defensive Strategie dagegen blockiert diesen Klärungsprozess. Sie beendet den Dialog auf der Sachebene und ersetzt ihn durch eine Zuweisung von Schuld auf der Beziehungsebene.
Zusammenfassung: Kommunikatives Defizit oder defensiver Charakterzug?
Psychologisch betrachtet, deutet dieses Muster auf zwei mögliche, sich oft überschneidende Ursachen hin:
- Ein kommunikatives Kompetenzdefizit: Die Person ist emotional derart involviert, dass sie ihre komplexen Gedanken nicht präzise verbalisieren kann. Sie spürt die Lücke zwischen ihrer (starken) Intention und ihrer (schwachen) Aussage erst, wenn sie konfrontiert wird, und weicht dann aus.
- Ein defensiver Charakterzug: Die Person nutzt Kommunikation primär zur Selbstdarstellung und Selbstvalidierung. Das Ziel ist nicht der reziproke Austausch, sondern die Durchsetzung der eigenen Sichtweise. Kritik wird per se als Angriff gewertet und muss abgewehrt werden, um die eigene Position unangreifbar zu machen.
In beiden Fällen ist das Ergebnis für den Bildungskontext dasselbe: Ein echter fachlicher Diskurs, kollaboratives Lernen und die Klärung von Sachverhalten werden unmöglich gemacht. Die "Inbrunst" dient nicht mehr der Vermittlung, sondern der Immunisierung.
5 Tipps: Umgang mit defensiver Rhetorik im Bildungskontext
Wie kann in Seminaren, Schulungen oder Trainings reagiert werden, wenn ein solches Verhalten auftritt, ohne den Diskurs eskalieren zu lassen?
- Deeskalieren durch Validieren der Emotion (nicht des Inhalts): Die "Inbrunst" ist der Schlüssel. Statt die Person auf ihre Abwehr festzunageln, sollte man zunächst die Emotion anerkennen. (z.B. "Man spürt deutlich, wie wichtig Ihnen dieses Thema ist. Das Engagement ist eindrucksvoll.") Das nimmt der Person den Wind aus den Segeln, da sie sich in ihrem emotionalen Einsatz (ihrer Identifikation) gesehen fühlt und den defensiven Modus oft reduziert.
- Verantwortung für das Verstehen strategisch übernehmen: Anstatt zu sagen "Das war unklar", ist es effektiver, die Verantwortung für das Missverständnis probeweise auf sich zu nehmen. (z. B. "Ich möchte sicherstellen, dass ich das korrekt verarbeite. Könnten Sie den Zusammenhang zwischen Punkt A und B für mich noch einmal anders formulieren?") Das umgeht den Ego-Schutz der sprechenden Person.
- Vom Abstrakten zum Konkreten (Depersonalisierung): Defensive Personen reagieren oft auf die implizite Kritik, nicht auf die Sachfrage. Daher sollte man das Thema von der Person lösen. Statt "Warum Sie das so sehen..." besser: "Lassen Sie uns das an einem konkreten Beispiel durchgehen. Wie würde sich Theorie X in Szenario Y verhalten?"
- "Spiegeln" statt Interpretieren: Statt zu sagen "Sie meinen also...", was als Angriff (Fehlinterpretation) gewertet werden kann, sollte man die Aussage spiegeln. (z.B. "Habe ich das richtig verstanden: [Gesagtes paraphrasieren]?") Wenn die Person dann sagt "Nein, das habe ich nicht gemeint", kann man neutral nachfragen: "Was genau war dann die Kernaussage?"
- Die Metakommunikation (als Moderator) benennen: Wenn das Muster den Lernprozess der gesamten Gruppe stört, muss es (im Sinne der Transparenz) angesprochen werden. (z.B. "Mir fällt auf, dass wir an diesem Punkt in einer Schleife sind. Mein Eindruck ist, wir reden über zwei verschiedene Dinge. Mein Ziel ist es, den Kern des Arguments zu verstehen. Lassen Sie uns bitte noch einmal bei [Startpunkt] ansetzen.")
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