Kampf um Aufmerksamkeit
Bildung, Lernen, digitale Konkurrenz
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
In der modernen Informationsgesellschaft ist der Zugang zu Wissen und Inhalten nahezu unbegrenzt. Diese Fülle hat jedoch einen Paradigmenwechsel herbeigeführt: Nicht mehr die Information selbst, sondern die Kompetenz, die Aufmerksamkeit von Personen zu gewinnen und zu halten, ist zur knappsten und damit wertvollsten Ressource geworden. Dieses Phänomen wird als Aufmerksamkeitsökonomie bezeichnet.
Dieses ökonomische Modell, das ursprünglich zur Beschreibung von Medienmärkten diente, ist heute ein dominierender Faktor im digitalen Raum und hat tiefgreifende Auswirkungen auf nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche, insbesondere auf die Erwachsenenbildung.
Das Fundament der Aufmerksamkeitsökonomie
Der Begriff "Aufmerksamkeitsökonomie" beschreibt ein System, in dem menschliche Aufmerksamkeit als Währung gehandelt wird. In einer Umgebung des extremen Informationsüberflusses (Content Shock) konkurrieren unzählige Akteurinnen und Akteure, soziale Netzwerke, Streaming-Dienste, Nachrichtenportale, Werbetreibende und Apps, um das begrenzte kognitive Budget potenzieller Nutzerinnen und Nutzer.
Die Geschäftsmodelle dominanter digitaler Plattformen basieren weithin nicht auf dem Verkauf von Produkten, sondern auf der Maximierung der Verweildauer (User Engagement). Diese Verweildauer wird anschließend durch die Platzierung zielgerichteter Werbung monetarisiert. Um dieses Ziel zu erreichen, setzen Plattformen hochentwickelte Mechanismen ein. Dazu gehören algorithmisch kuratierte Feeds, die auf emotionale Reize und die Bestätigung bestehender Meinungen optimiert sind, ständige Benachrichtigungen (Push-Notifications) und Design-Muster, die eine endlose Nutzung fördern (wie "infinite scrolling" oder Autoplay-Funktionen).
Aus neuropsychologischer Sicht nutzen diese Systeme regelhaft das Belohnungssystem des Gehirns. Variable, unvorhersehbare Belohnungen (z.B. Likes, neue Nachrichten) können dopaminerge Schleifen erzeugen, die Verhaltensweisen ähnlich wie bei einer Sucht fördern. Das Resultat ist eine Umgebung, die auf die Fragmentierung von Aufmerksamkeit und die Förderung von "Shallow Work", flüchtiger, reaktiver und oberflächlicher Informationsverarbeitung, ausgelegt ist.
Die Kollision: Lernen versus Ablenkung
Die Anforderungen an erfolgreiche Lernprozesse in der Erwachsenenbildung stehen in diametralem Gegensatz zu den Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie.
Tiefgehendes Lernen, wie es für den Erwerb neuer Kompetenzen, die Analyse komplexer Sachverhalte oder die kritische Reflexion erforderlich ist, benötigt eine spezifische Form der Zuwendung: die fokussierte, ungeteilte und über einen längeren Zeitraum aufrechterhaltene Aufmerksamkeit. Dieses Konzept, auch als "Deep Work" bezeichnet, ist die Grundvoraussetzung für kognitive Höchstleistungen und die nachhaltige Verankerung von Wissen im Langzeitgedächtnis. Lernen ist ein aktiver, und in jedem Fall anstrengender Prozess der Synapsenbildung und Konsolidierung.
Die Aufmerksamkeitsökonomie hingegen trainiert das Gehirn auf das genaue Gegenteil: den schnellen Wechsel zwischen verschiedenen Reizen (Multitasking), eine hohe Sensitivität für Neuartiges (Novelty Bias) und eine geringe Toleranz für Phasen ohne sofortige Belohnung.
Für die Bildungsarbeit mit Erwachsenen ergeben sich daraus drei zentrale Herausforderungen:
- Erodierende Fokustoleranz: Lernende sind es zunehmend gewohnt, Informationen in sehr kurzen, unterhaltsamen Häppchen zu konsumieren. Die Kompetenz, sich über 45 oder gar 90 Minuten auf einen komplexen Vortrag, ein Fachbuch oder eine konzentrierte Übungsphase einzulassen, nimmt messbar ab. Die Schwelle für Ablenkungen und das Gefühl von "Langeweile" sinkt.
- Kognitive Überlastung (Cognitive Overload): Erwachsene Lernende betreten den Lernraum, sei er physisch oder digital, oft bereits in einem Zustand mentaler Erschöpfung. Das Gehirn ist durch die ständige Verarbeitung von E-Mails, Chat-Nachrichten und sozialen Medien bereits stark ausgelastet (Continuous Partial Attention). Die verfügbaren kognitiven Ressourcen für den eigentlichen Lernprozess sind dadurch stark limitiert.
- Veränderte Erwartungshaltung: Im Wettbewerb mit hochprofessionell produzierten Unterhaltungsformaten (Netflix, YouTube, TikTok) verändert sich die Erwartungshaltung an Bildungsinhalte. Eine rein faktenbasierte, didaktisch trockene Aufbereitung von Inhalten wird schneller als unzureichend empfunden. Die Forderung nach "Edutainment", einer Verschmelzung von Bildung und Unterhaltung (auch wenn das für die Bildungsarbeit von Nachteil ist), wächst.
Didaktische Konsequenzen für die Erwachsenenbildung
Die Aufmerksamkeitsökonomie kann nicht ignoriert werden; sie definiert die Rahmenbedingungen, unter denen Lernen heute stattfindet. Eine moderne Didaktik muss diese Realität anerkennen und ihre Methoden adaptieren, um Lernprozesse dennoch erfolgreich zu gestalten. Es geht nicht darum, die Unterhaltungsindustrie zu imitieren, sondern darum, Lerninhalte so zu strukturieren, dass sie im Aufmerksamkeitswettbewerb bestehen können.
1. Didaktische Reduktion und Microlearning
Die vielleicht wichtigste Anpassung ist die radikale Verdichtung und Strukturierung von Inhalten.
- Microlearning: Statt Lernende mit mehrstündigen Modulen zu konfrontieren, werden komplexe Themen in kleinste, in sich geschlossene Lerneinheiten (Nuggets) zerlegt. Ein 3-Minuten-Erklärvideo, eine Infografik, ein kurzes Quiz oder eine einzelne Fallstudie können als "Lern-Snacks" konsumiert werden. Diese Einheiten passen besser in fragmentierte Zeitbudgets und respektieren die verkürzte Aufmerksamkeitsspanne für neue Reize.
- Klare Kuration: In einer Welt des Überflusses liegt der Wert von Bildungsangeboten weniger in der Bereitstellung von mehr Information, sondern in der Kuration, konkret der Auswahl, Filterung und Einordnung des Wesentlichen.
2. Der Relevanz-Imperativ (Der "WIIFM"-Faktor)
Erwachsene investieren ihre knappe Aufmerksamkeit nur dann, wenn der Nutzen einer Information sofort ersichtlich ist. Der "What's in it for me?" (WIIFM) Faktor muss von der ersten Sekunde an kommuniziert werden.
- Problemorientiertes Lernen: Didaktische Designs müssen weniger theorielastig beginnen. Stattdessen wird ein relevantes, konkretes Problem aus dem Berufsalltag der Lernenden an den Anfang gestellt. Die Theorie wird anschließend als Werkzeug zur Lösung dieses Problems eingeführt. Das steigert die intrinsische Motivation und die wahrgenommene Relevanz.
3. Aktivierung und Interaktion als Fokus-Anker
Lange Phasen passiver Wissensaufnahme (z.B. Frontalvorträge) sind im Kontext der Aufmerksamkeitsökonomie am anfälligsten für Ablenkungen. Um den Fokus zu halten, muss die Interaktionsdichte signifikant erhöht werden.
- Hohe Aktivierungsfrequenz: In digitalen Lernformaten (wie bspw. bei Live-Online oder in Webinaren) muss die passive Rezeption regelmäßig unterbrochen werden. Als Faustregel gilt: alle 7 bis 10 Minuten eine Aktivierung. Das kann durch Umfragen, Chat-Aufforderungen, kurze Wissens-Checks oder kollaborative Aufgaben in digitalen Breakout-Rooms geschehen.
- Gamification: Der sinnvolle Einsatz spielerischer Elemente kann die Motivation zudem steigern, da er an dieselben Belohnungsmechanismen appelliert wie andere digitale Dienste. Punkte, Badges, Ranglisten oder das Freischalten von Levels können den Lernfortschritt visualisieren und die Bindung an den Lernprozess erhöhen. Aber Achtung, dieses Angebot erschöpft sich bei den Lernenden rasch.
4. Storytelling und Emotionalisierung
Das Gehirn verarbeitet Informationen, die in narrative Strukturen eingebettet sind, anders als abstrakte Fakten. Geschichten erzeugen emotionale Resonanz, binden Aufmerksamkeit und verbessern die Erinnerungsleistung.
- Narrative Didaktik: Statt reiner Faktenvermittlung müssen Inhalte durch Fallbeispiele (Case Studies), persönliche Anekdoten oder eine übergreifende "Heldinnen- bzw. Heldenreise" der Lernenden strukturiert werden. Emotional relevante Inhalte werden im Aufmerksamkeitswettbewerb priorisiert verarbeitet.
Der Meta-Auftrag: Förderung der Aufmerksamkeitskompetenz
Die vielleicht wichtigste und nachhaltigste Rolle der Erwachsenenbildung im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie ist es, nicht nur um Aufmerksamkeit zu buhlen, sondern Aufmerksamkeit selbst zum Lerninhalt zu machen.
Bildungsarbeit muss Lernende in die Lage versetzen, ihre eigene Aufmerksamkeit bewusst zu steuern und eine Form der "digitalen Souveränität" zu entwickeln. Es reicht nicht aus, nur Fachwissen zu vermitteln; es muss auch die Kompetenz aufgebaut und vermittelt werden, den Fokus zu finden, der zur Aneignung dieses Wissens nötig ist.
Das umfasst:
- Vermittlung von Fokus-Techniken: Das Lehren von Methoden des Selbstmanagements (z.B. Pomodoro-Technik, Time-Blocking für "Deep Work", bewusste digitale Enthaltsamkeits-Phasen).
- Schärfung der Medienkompetenz: Ein Verständnis dafür, wie Algorithmen, Benachrichtigungen und Plattform-Designs psychologisch wirken, um Nutzende zu binden.
- Förderung der Selbstreflexion: Die Anregung zur Analyse des eigenen Medienkonsums und der individuellen Ablenkungsmuster.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Aufmerksamkeitsökonomie die Erwachsenenbildung vor erhebliche Herausforderungen stellt. Sie erzwingt jedoch auch eine notwendige Modernisierung der Didaktik: hin zu mehr Relevanz, Prägnanz, Aktivierung und einer neuen Verantwortung für die Vermittlung von metakognitiven Kompetenzen.
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Medienkompetenz: An Gesellschaft teilhaben.
- Bildungsentertainment: Das wäre dann doch zu wenig!
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HINWEIS: Für die sprachliche Glättung und stilistische Vereinfachung dieses Beitrags wurden KI-basierte Tools (ChatGPT 5, Gemini 2.5 Pro, Copilot) unterstützend eingesetzt. Alle inhaltlichen Aussagen und Schlussfolgerungen wurden von dem Autor ausgewählt, geprüft und verantwortet. Die KI hatte keine Rolle bei der inhaltlichen Generierung oder Bewertung der Forschungslage.
