
Ein interessantes Pärchen
Zwei Seiten nachhaltiger Entwicklung
Autor: in Manfred Hofferer, Renate Fanninger & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Warum Zweifel nach Erfolgen Entwicklung und Stabilität fördern. Erfolg wird oft überschwänglich als der Abschluss eines Lern- oder Arbeitsprozesses gefeiert und gilt weithin als Zeichen von Kompetenz.
Psychologisch betrachtet greift diese Vorstellung jedoch viel zu kurz und lässt wesentliche Elemente weg. Sehr viel mehr richtig ist, dass auch am Ende eines erfolgreichen Tuns Zweifel, Unsicherheit und Ängste ihren Platz haben müssen – nicht als Schwäche, sondern als natürlicher Bestandteil psychischer Entwicklung.
Im psychologisch-philosophischen Denken gelten Ängstlichkeit und Unsicherheit nach scheinbar erfolgreichem Tun schon sehr lange als eigentlicher Motor für Anpassung und Weiterentwicklung. D. h., wer nach einem Erfolg weiterhin Unruhe und Unsicherheit verspürt, dokumentiert damit eine gute Sensibilität und offene Haltung gegenüber des aktuellen Seins und möglicher Veränderungen bei gleichzeitig einer sehr viel realistischeren Einschätzung eigener Fertigkeiten und Kompetenzen als solche, die es nicht tun. Selbstwirksamkeit bedeutet eben nicht das Ausbleiben von Zweifeln, sondern das aktive Erleben und bewältigen können dieser entwicklungsaffinen inneren Spannungen, die ein natürlicher Ansporn sind, Bestehendes unaufhörlich zu verfeinern und immer neue Kompetenzen auszubilden.
Praktische Erfahrungen in der Jugend- und Erwachsenenbildung bestätigen, wenn man genau hinschaut, diese Erkenntnisse. Lernende, die sich der Wahrscheinlichkeit ihrer Erfolge zwar sicher sind, jedoch weiterhin Ängstlichkeit, Zweifel und Unsicherheiten zulassen und Fragen stellen, entwickeln nachhaltigere Lern- und (Persönlichkeits‑) Entwicklungsfortschritte. Ein typisches Beispiel findet man regelmäßig im Training sozialer Kompetenzen: Eine Person, die ein schwieriges Gespräch erfolgreich gestaltet, zweifelt im Nachfeld dennoch an sich und daran, ob alles optimal verlaufen ist und man es nicht doch hätte besser machen können. Erst diese Unsicherheit ermöglicht es, weiterhin zukünftige Situationen differenzierter zu betrachten, zu gestalten und kritisch selbstreflektiert zu planen und zu handeln.
Auch im beruflichen Kontext zeigt sich die Bedeutung von Unsicherheit. Fachkräfte, die nach abgeschlossenen Projekten zweifelnd-kritische Rückfragen an sich selbst stellen, sichern langfristig ihre Qualität. Dieses Empfinden und die darauf aufbauende Haltung drücken – auch wenn sich das im Moment nicht so anfühlt - innere Stabilität aus: Nicht das Festhalten an einem statischen Erfolgsbild, sondern die Bereitschaft zur laufenden Selbstkorrektur stärkt die psychische Widerstandskraft und das Selbstbewusstsein.
Aus der Perspektive der Psychologie betrachtet schützt das Zulassen können und aktive Erleben von Ängstlichkeiten und Zweifel nach Erfolgen vor blinder Wiederholung und vor allem vor Überheblichkeit und öffnet den Raum für echtes Lernen und Entwicklung. Zweifel haben dort noch nie als Versagen gegolten, sondern als notwendiges und dem Leben innewohnendes psychisches Regulativ. In der Jugend- und Erwachsenenbildungsarbeit bietet diese Perspektive einen wichtigen Hinweis und Ansatz: Lernende müssen erfahren und erkennen, dass Unsicherheiten ein deutliches Zeichen innerer Empfindungs- und Wachsamkeit gegen sich selbst sind und sie aus diesem Erleben das Entwicklungspotenzial für die Zukunft schöpfen können.
Wichtig zu wissen und zu bedenken ist aber auch, dass Unsicherheiten und Zweifel in einem gesunden Maß – ausgewogen – bleiben müssen. Übermäßiges Grübeln oder lähmende Selbstkritik erschweren, behindern oder verunmöglichen den Lernprozess. Die Kunst besteht darin, Unsicherheiten wahrzunehmen, sie zu sehen, sie anzuerkennen, ohne sich von ihnen ergreifen und dominieren zu lassen. In der Praxis bedeutet das, nach mehr oder weniger erfolgreichem Tun Raum für Reflexion zu schaffen und gezielt Fragen zu stellen: bspw. Was ist gelungen? Wo bestehen Entwicklungsspielräume? Welche Erkenntnisse lassen sich nutzen? Was könnte zukünftig verbessert werden? ohne dabei den Anspruch zu verfolgen, ein endgültiges und abschließendes Ergebnis zu finden.
In der pädagogischen Begleitung von Lernprozessen zeigt sich: Der konstruktive Umgang mit Unsicherheit und Zweifel fördert Kompetenzentwicklung und stärkt – mehr als weithin angenommen – die psychische Widerstandskraft. Gerade im Training von bspw. Soft Skills – etwa Konfliktmanagement, Empathie oder Kommunikationskompetenzen – führt die bewusste und aktive Auseinandersetzung mit Unsicherheiten und Zweifeln zu nachhaltigeren Lernergebnissen. Lernende, die sich nicht mit dem ersten und vordergründigen Erfolg zufriedengeben, entwickeln in der Folge auch – für eine komplexe Welt notwendig erforderliche – bessere psychische Flexibilität und Anpassungskompetenz bei gleichzeitig realistischeren Sicht auf sich selbst und die Mit- und Umwelt.
Ausblick: Zukünftig muss die noch stärkere Einbindung und die bewusste Integration von Zweifeln, Ängstlichkeiten und Unsicherheit in Bildungsprozesse an Bedeutung gewinnen. Schnelle Erfolge dürfen nicht mehr als abschließende Bewertung gelten, sondern die psychische Zweifel- und Unsicherheitsdimension des Lernens muss stärker in den Vordergrund treten. Entsprechende Gesprächs- und Lernangebote müssen gezielt Reflexionsräume schaffen, in denen diese Themen Platz finden. Wer Zweifel konstruktiv nutzt, entwickelt bessere Fertigkeiten, nachhaltigere Kompetenz und insgesamt eine stabilere Psyche. In der Jugend- und Erwachsenenbildung muss dieser Ansatz zukünftig eine wesentlich zentralere Rolle zur Förderung nachhaltiger Lernkulturen einnehmen.
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