
Das ist so kindisch
Wenn nette Spiele nicht greifen
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2025
Seminarübungen, häufig auch als Seminarspiele“ bezeichnet, bieten in der Jugend- und Erwachsenenbildung vielfältige Möglichkeiten, Kompetenzen erfahrungsorientiert zu vermitteln. Die Lernenden werden aktiv einbezogen, Aufgaben werden gemeinsam bearbeitet und die Praxis steht im Fokus. Doch die nachhaltige Wirkung bleibt, wie die kritische Beobachtung der Praxis zeigt, oft aus.
Zentraler Umstand dafür ist der sogenannte Transfer. In der Pädagogik sowie der Psychologie bezeichnet Transfer die bewusste und reflektierte Übertragung von im Seminar erworbenem Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen und Einstellungen auf neue, reale und für die Teilnehmenden relevante Situationen. Modelle wie das Drei-Ebenen-Modell (nahe, mittlere und weite Transfersituationen*) veranschaulichen, dass Praxistransfer unterschiedlich komplex verläuft und viel unterschiedliche Bedingungen den Erfolg beeinflussen. Seminarübungen können nur dann wirksam werden, wenn eine Brücke zwischen Seminarraum und Alltag gebaut wird. Bleibt die erarbeitete Fertigkeit bzw. Kompetenz auf das Seminar begrenzt, verliert sie schnell an Wert.
Ein Beispiel: In einem Kommunikationstraining wird aktives Zuhören theoretisch eingeführt und im Rollenspiel erprobt. Das ist gut, aber dabei fehlen häufig Querbezüge und gezielte Hinweise und Aktivitäten, wie das neu Erlernte konkret in den Berufsalltag umgesetzt werden kann. Hürden wie mangelnde Rückmeldung, wenige Anwendungsmöglichkeiten oder Unsicherheiten über den passenden Einsatzzeitpunkt führen dazu, dass die neue Kompetenz nicht selbstverständlich in den Alltag übertragen wird. Mit der Konsequenz, dass der Nutzen begrenzt bleibt.
Fehlende Transferleistung und Möglichkeiten zur Förderung
Viele Methoden, die im Seminar- und Trainingsbetrieb eingesetzt werden, verbleiben auf der Ebene von Ereignissen, Erlebnissen und eher selten von Erfahrung, was den Transfer in den Alltag erschwert bis unmöglich macht. Verstärkt eingesetzte transferförderliche Ansätze wie Fallanalyse und -arbeit, praxisorientierte Transferaufgaben bzw. individuell angepasste Umsetzungspläne könnten die Anwendung des Gelernten begünstigen und die Chance erhöhen, dass Inhalte dauerhaft im Alltag genutzt werden. Insbesondere Soft-Skill-Seminare müssen die Bedeutung von Reflexion betonen. Fehlt die Anregung und Anleitung zum Praxistransfer, bleibt der Lerngewinn abstrakt. Konfliktlösungsstrategien, die rein theoretisch durchgespielt werden, bieten keinen Bezug zu realen Herausforderungen. Ohne Verknüpfung mit eigenen Erfahrungen entsteht leicht der Eindruck, dass die Übungen wenig Nutzen haben. Das Gelernte wird selten bis gar nicht ein- und umgesetzt.
Oberflächliches Lernen oder Deep Learning?
Nachhaltiges Lernen ist eng mit der Verknüpfung von neuem Wissen und bisherigen Erfahrungen verbunden. Oberflächliche und nicht selten stark spiel- und spaßbetonte Seminarübungen, die nur der Aktivierung dienen, bleiben wirkungslos. Ein Beispiel: Gruppenarbeit zur Förderung von Teamkompetenz: bleibt die anschließende strukturierte Reflexion aus, wird das Potenzial dieser Methode verschenkt. Inhalte wirken dann beliebig und werden kaum in das eigene Handeln übernommen.
Für nachhaltige Kompetenzentwicklung ist tiefergehende kognitive und emotionale Auseinandersetzung nötig. Die professionelle Praxis spricht hier von „Deep Learning“. Während oberflächliches Lernen nur kurzfristige Effekte erzeugt, ist Deep Learning gekennzeichnet durch bewusste, vernetzte und reflektierte Arbeit am Lernstoff. Studien belegen, dass neue Informationen am besten aufgenommen werden, wenn sie aktiv mit eigenen Erfahrungen und vorhandenem Wissen verknüpft werden. Deep Learning ist der Ansatz, der über das bloße Auswendiglernen von Fakten du die oberflächlich-spielerische Beschäftigung damit hinausgeht und darauf abzielt, ein tiefes Verständnis von Konzepten, die Fertigkeit und Kompetenz zur selbst- und eigenständigen Problemlösung, kritisches Denken und Kreativität zu fördern.
Warum Methoden als „kindisch“ empfunden werden
Die Einschätzung, Seminarübungen seien „kindisch“, hat selten mit der Methode selbst zu tun. Sie entsteht regelmäßig durch fehlende Einbettung und mangelnde Erläuterung. Erwachsene Lernende reagieren sensibel auf Methoden, deren Nutzen und Zweck nicht nachvollziehbar vermittelt wird. Wird bspw. eine Übung als Pflicht wahrgenommen oder bleibt der Bezug zum Lernziel unklar, entsteht leicht der Eindruck von Spielerei und/oder Zeitverschwendung. Eine methodisch durchdachte Einbindung in das Seminarkonzept und die Ernsthaftigkeit der Moderation sind für den Aufbau der Akzeptanz wesentlich. Moderation und professionelle Haltung beeinflussen maßgeblich, wie die Lernenden die angebotene Methode aufnehmen.
Didaktische Klarheit statt Beliebigkeit
Nicht selten fehlt es an einer klaren didaktischen Erläuterung, weshalb eine Methode zu einem Seminarthema gewählt wurde und wie sie zur Zielerreichung beiträgt. Wenn etwa eine Gruppendiskussion startet, ohne dass deren Bedeutung für den Erwerb von Kommunikationskompetenzen erläutert wird, bleibt der Nutzen für viele verborgen. Lehrende, die transparent erklären können, was durch die Übung erreicht werden kann und wie der Bezug zur Praxis hergestellt wird, schaffen Akzeptanz und Beteiligung. Damit steigt in der Regel die Bereitschaft der Lernenden, sich aktiv einzubringen und die Ergebnisse auch im Alltag anzuwenden. D.h., die Glaubwürdigkeit der Lehrperson und die explizite Wertschätzung des Lernprozesses sind für nachhaltiges Lernen von besonderer Bedeutung.
Ausblick: Seminarübungen wirksam gestalten
Die Entwicklung, der Einsatz und die Durchführung nachhaltiger Seminarübungen erfordert eine differenzierte professionelle und differenzierte Herangehensweise, die an den Voraussetzungen, Ausgangslagen, Bedürfnissen und Erfahrungen der Lernenden ansetzt. Bereits zu Beginn empfiehlt sich der Einsatz von Instrumenten zur Bedarfsanalyse, etwa durch Vorerfahrungsabfrage, detaillierte Zieldefinition im Vorfeld und immer auch eine kurze Standortbestimmung. Solche Maßnahmen ermöglichen eine passgenaue Planung und unterstützen die Auswahl geeigneter Methoden. Erst durch gezielte didaktische Planung und die Verbindung zur Lebenswelt können Aneignungs- und Lernprozesse entstehen, die tatsächlich auch praktische Wirkung entfalten. Die gezielte Integration von Feedback- und Reflexionsphasen hilft zudem, das Gelernte zu sichern, um es in den Alltag zu übertragen. Lehrende sind gefordert, Relevanz und Nutzen der Methoden transparent zu machen und durch konkrete Anleitung und Begleitung den Praxistransfer anzuregen, zu unterstützen und zu fördern. Die nachhaltige Wirkung von Seminarübungen entsteht, wenn Theorie, Praxis und persönliche Bedeutung bewusst verbunden werden. Auf diese Weise kann erfahrungsorientiertes Lernen Denk- und Handlungsweisen langfristig prägen.
Erklärung: * Das Drei-Ebenen-Modell (auch Drei-Stufen-Modell des Transfers genannt) stammt aus der pädagogisch-psychologischen Transferforschung. Es beschreibt, wie gut Lerninhalte oder Kompetenzen aus einer Lernsituation auf verschiedene Anwendungssituationen übertragen werden können. Das Modell unterscheidet drei Ebenen des Transfers:
- Naher Transfer: Hier werden Kentnisse, Fertigkeiten bzw. Kompetenzen auf sehr ähnliche Situationen übertragen. Beispiel: Die im Seminar erarbeitete und geübte Kommunikationsstrategie wird in einem ähnlich strukturierten Teamgespräch angewendet. Die Aufgabenstellung und die Bedingungen ähneln stark der Lernsituation.
- Mittlerer Transfer: Das bezeichnet die Übertragung auf Situationen, die sich in bestimmten Aspekten von der ursprünglichen Lernsituation unterscheiden, aber noch erkennbare Gemeinsamkeiten aufweisen. Beispiel: Die Kommunikationsstrategie wird in einer anderen, aber verwandten Teamsituation angewendet, etwa in Gesprächen mit Kundinnen und Kunden oder bei einem Konfliktgespräch.
- Weiter Transfer: Hier wird das Gelernte auf eine ganz andere, deutlich komplexere oder gänzlich neue Situation angewendet, bei der die Parallelen zur ursprünglichen Lernsituation nur noch wenig offensichtlich sind. Beispiel: Die im Seminar erlernte Konfliktlösungstechnik wird später im privaten Umfeld oder in einer ganz anderen beruflichen Rolle genutzt.
Das Drei-Ebenen-Modell ist keine fest definierte Bezeichnung für eine einzige Theorie, sondern ergibt sich aus grundlegenden Transferüberlegungen, wie sie bspw. von Perkins & Salomon („Transfer of Learning“) ab den 1980er Jahren beschrieben werden. Das Konzept wird in verschiedenen Variationen in der psychologischen und pädagogischen Literatur genutzt, um die Herausforderungen und Chancen des Wissenstransfers greifbar zu machen. Das Ziel: Das Modell soll helfen, Lernarrangements so zu planen und zu gestalten, dass nicht nur naher Transfer gelingt, sondern auch weiter Transfer ermöglicht und unterstützt wird.
Das Drei-Ebenen-Modell macht deutlich, dass Seminarspiele und -übungen idealerweise darauf ausgerichtet sein müssen, nicht nur den Transfer in vergleichbare Situationen (nah), sondern auch in weiter entfernte, neue Kontexte (mittel und weit) zu ermöglichen. Das ist entscheidend für nachhaltiges und anwendungsorientiertes Lernen.
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