Multisensorisch

Viele Sinne

Was sagt die Wissenschaft?

Jede und Jeder, die bzw. der sich mit Bildung beschäftigt, hat schon einmal von "Lerntypen" gehört: visuell, auditiv, kinästhetisch und intellektuell. Die Idee, dass Menschen nur auf eine bestimmte Weise lernen und man den Unterricht bzw. die Lehreinheit darauf abstimmen sollte, klingt intuitiv einleuchtend. Doch halt! Dazu muss man klarstellen: Der Mythos der starren Lerntypen ist wissenschaftlich widerlegt.

 

Es gibt keine belastbaren Belege dafür, dass ein Mensch ausschließlich oder primär über einen einzigen Sinneskanal besser, leichter oder nachhaltiger lernt. Dieses Konzept wird in der modernen Bildungsforschung nicht nur kritisch gesehen, sondern mittlerweile auch abgelehnt.

 

Aber bedeutet das, dass das Konzept des multisensorischen Lernens damit auch hinfällig ist? Absolut nicht! Multisensorisches Lernen ist etwas anderes und wird durch aktuelle Forschungsergebnisse aus der Hirnforschung und Kognitionswissenschaft unterstützt. Ein genauer Blick darauf klärt auf.

 

Der Mythos der Lerntypen: Warum er irreführend ist

 

Die Vorstellung, dass eine Person ein "visueller" Lerntyp ist und deshalb am besten mit Bildern lernt, während ein "auditiver" Typ vom Zuhören profitiert, ist zwar weit verbreitet, aber irreführend. Studien, wie sie beispielsweise von Pashler et al. (2008) umfassend analysiert wurden, haben gezeigt, dass es keinen signifikanten Vorteil bringt, Lerninhalte ausschließlich auf einen vermeintlichen Lerntyp zuzuschneiden.

 

Ganz im Gegenteil: Eine solche Reduzierung trägt ein enormes Potential in sich, die Lernmöglichkeiten und die Lerntiefe sogar stark einzuschränken und zu reduzieren. Fakt ist, dass das menschliche Gehirn von Natur aus darauf ausgelegt ist, Informationen über alle verfügbaren Sinne zu verarbeiten und miteinander zu verknüpfen. Die Neurowissenschaft betont ausdrücklich die Integrationsfähigkeit des Gehirns, das verschiedene Sinnesinputs miteinander verarbeitet.

 

Multisensorisches Lernen: Die wahre Stärke unserer Sinne

 

Multisensorisches Lernen bedeutet also nicht, sich auf einen einzelnen Sinn zu beschränken, sondern gezielt mehrere Sinneskanäle gleichzeitig bzw. und/oder aufeinanderfolgend anzusprechen, um Lerninhalte besser zu verankern und zu vertiefen. Nachfolgend die wichtigsten Gründe, warum dieser Ansatz wissenschaftlich fundiert und durch moderne Forschung belegt ist:

  1. Multiple Kodierung und Redundanz: Stellen Sie sich vor, sie haben nicht nur einen, sondern gleich mehrere Wege, um zu einem bestimmten Ort zu gelangen. Genauso funktioniert es im Gehirn. Wenn Informationen über verschiedene Sinne aufgenommen werden (zum Beispiel ein Wort hören, es sehen und dazu eine passende Geste ausführen), werden sie auf unterschiedlichen neuronalen Wegen verarbeitet und gespeichert. Diese "multiple Kodierung" führt zu mehr Verknüpfungen und Repräsentationen der Information im Gehirn. Je mehr Zugangswege dem Menschen zur Verfügung stehen, desto leichter kann er die Information später abrufen. Das ist ein Kernprinzip der kognitiven Psychologie und Gedächtnisforschung, die darauf abzielt, wie Informationen enkodiert und abgerufen werden.
  2. Verstärkung der Gedächtnisspuren: Wenn beim Lernen verschiedene Sinnesmodalitäten aktiviert werden, stärkt das die beteiligten neuronalen Netzwerke, die für die Speicherung der Information zuständig sind. Forschungsergebnisse, etwa vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (deren Arbeiten sich u.a. mit Sprachverarbeitung und multisensorischer Integration befassen), oder Studien zur Embodied Cognition (verkörpertes Wissen) zeigen, dass die Kombination von Hören und Sehen oder Hören und Bewegen (z.B. Gesten beim Sprachenlernen) die Gedächtnisleistung erheblich verbessern kann. Die Information wird dadurch tiefer und stärker im Gedächtnis verankert.
  3. Aufmerksamkeit und Engagement: Eine Lehreinheit bzw. ein Unterricht, der visuelle Elemente, auditive Erklärungen und vielleicht sogar praktische Aufgaben und Übungen (kinästhetisch/taktil) kombiniert, ist schlichtweg abwechslungsreicher und ansprechender. Das wiederum steigert die Aktivierung und die Motivation und hält die Aufmerksamkeit der Lernenden länger aufrecht. Monotone Inputs, die nur einen Sinn beanspruchen, ermüden rasch und haben auch entsprechend negative Auswirkungen auf die Motivation. Das wird u.a. durch Erkenntnisse der Lernpsychologie untermauert, die feststellen, dass Abwechslung und Aktivierung für die Aufrechterhaltung der Lernbereitschaft essenziell sind.
  4. Optimierung der Gehirnfunktion (Neuroplastizität): Das menschliche Gehirn ist wunderbar plastisch und passt sich ständig neuen Lernsituationen an. Die gezielte Stimulierung verschiedener Hirnbereiche durch multisensorische Inputs kann die Bildung neuer neuronaler Verbindungen (Synapsen) zusätzlich fördern und das macht die Informationsverarbeitung in jedem Fall effizienter und flexibler. Die moderne Neurobiologie liefert dafür belastbare Hinweise Belege, indem sie die dynamischen Veränderungen im Gehirn während des Lernens.
  5. Relevanz des Sinneskanals: Wichtig zu verstehen ist, dass es nicht darum geht, willkürlich alle Sinne gleichzeitig zu befeuern, sondern die passenden Sinneskanäle für den jeweiligen Lerninhalt zu finden und zu nutzen. Beim Erlernen einer neuen Sprache ist das Hören und Nachsprechen essenziell, während beim Verstehen eines komplexen Mechanismus das Betrachten eines Modells und das eigene Spielen und Experimentieren sowie das Ausprobieren entscheidend sein können. Insgesamt ist es eine Frage der Didaktik, die richtigen Sinne im richtigen Moment anzusprechen, ein Prinzip, das in der modernen Lehr- und Unterrichtsforschung breit diskutiert wird (z.B. im Kontext von Active Learning oder Blended Learning Ansätzen).

Fazit: Vielfalt ist ein wichtiger Schlüssel und fundierter Ansatz

 

Insgesamt lässt sich festhalten, während der Mythos der starren Lerntypen wissenschaftlich nicht haltbar ist, ist die Förderung der multisensorischen Verarbeitung in Lehreinheiten bzw. im Unterricht ein mächtiges und wissenschaftlich fundiertes Werkzeug. Im Kern geht es darum, Lerninhalte auf möglichst vielfältige Weise zu präsentieren, weil das die Verknüpfungen im Gehirn anregt und fördert, die Gedächtnisbildung unterstützt und die Lernmotivation steigert.

 

Als Lehrende bzw. Lernende dürfen wir nicht versuchen, uns auf einen einzigen "Lerntyp" zu reduzieren, sondern müssen darauf achten das volle Potenzial der aufnehmenden Sinne auszuschöpfen. Variabilität und gezielte Anregung verschiedener Sinneskanäle sind der Schlüssel zu einem tieferen, nachhaltigeren und effektiveren Lernen.

 

Referenzen: Pashler, H., McDaniel, M., Rohrer, D., & Bjork, R. (2008). Learning Styles: Concepts and Evidence. Psychological Science in the Public Interest, 9(3), 105-119. Hinweis zu den Max-Planck-Instituten und Embodied Cognition: Die Forschung zu multisensorischer Integration, Sprachverarbeitung und Embodied Cognition ist breit gefächert und wird von vielen Wissenschaftlern an verschiedenen Institutionen betrieben. Für spezifische Artikel des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften oder zur Embodied Cognition empfehlen wir die Suche in wissenschaftlichen Datenbanken (wie Google Scholar oder PubMed) mit Stichworten wie "multisensory integration", "embodied cognition learning", "neuroscience education" in Verbindung mit den Namen bekannter Forscher oder Institutionen.

 

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